„Niemand wird so gehasst“

DEMONSTRANTEN Immer wieder kommt es wie in Leck zu Kundgebungen gegen Sexualstraftäter. Ein Gespräch über eine neue Form des Prangers

■ 42, Geschäftsführerin des Instituts für Sicherheits- und Präventionsforschung Hamburg und Professorin der Polizeiakademie Niedersachsen.

taz: Ist es ein neues Phänomen, dass sich Demonstranten vor den Häusern von Sexualstraftätern versammeln, Frau Klimke?

Daniela Klimke: In Deutschland ist das ziemlich neu, aber es gibt seit 2000 Vorläufer aus Großbritannien und den USA.

Setzen diese Demonstrationen die Tradition des Prangers fort?

Es gibt Bezüge: Man verlässt sich nicht mehr darauf, dass alles staatlich geregelt wird, sondern nimmt das Recht zu einem gewissen Grad selbst in die Hand. Sexualstraftäter sind die ersten Opfer solcher Aktionen.

Die Beteiligten glauben also nicht, dass die Justiz adäquat mit den Tätern umgeht?

Ich glaube, dass der Justiz grundsätzlich vertraut wird. Aber auf die Sexualstraftäter entlädt sich der gesammelte Hass und in dem Bereich werden die Urteile als zu milde angesehen.

Häufig demonstrieren Anwohner und sagen: Der Entlassene muss irgendwo wohnen – aber nicht in meiner Nachbarschaft.

Mein Eindruck ist, dass die Bürgerrechte diesen Menschen komplett abgesprochen werden. Das ist eine Hysterie, die sich mit ihnen seit Anfang der 90er Jahre verbindet, die systematisch aufgebaut wurde. Es gibt niemanden, der so gehasst wird wie sie.

Woran liegt das?

Es hat viel mit dem Feminismus zu tun, der das Delikt des sexuellen Missbrauchs zu einem gesellschaftlichen Problem gemacht hat. Aus diesem Diskurs gingen Vorstellungen wie die des reinen Opfers und des rein bösen Täters hervor. Damit steht derjenige, der Sexualstraftäter hasst, automatisch auf der guten Seite.

Das Ende der Vorstellung, das Opfer sei selber schuld, ist doch ein großer Fortschritt.

Darüber sind jedoch die Sexualstraftäter zum Hebel geworden, um den liberalen Rechtsstaat aus den Angeln zu heben.

Ist die NPD-Verbindung häufig?

Die NPD spielt sich als Saubermann auf, was meist abgelehnt wird – aber bei diesem Thema besteht moralische Einigkeit.

Wie könnte man Ausschreitungen wie die in Leck verhindern?

Die Politik darf das Thema nicht instrumentalisieren, sondern muss den freiheitlichen Rechtsstaat vertreten. Solche Menschen dürfen nicht als das Böse schlechthin betrachtet werden, sondern als welche, die etwas Böses getan haben. INTERVIEW: GRÄ