ORTSTERMIN: OSTERMARSCH IN DER U-BOOT-STADT KIEL VOR DEM HINTERGRUND DER GRASS’SCHEN DEBATTE
: Konsens im Kühlen

Manche Journalisten halten Ausschau nach Schnäuzer und Pfeife. Vergebens

Es ist fünf vor zwölf und der Kieler Asmus-Bremer-Platz ist leer, nur gut zwei Dutzend Leute warten auf den Beginn des Ostermarsches um zwölf. Der Platz liegt mitten in der Kieler Einkaufsstraße. Die ist am Samstag vor Ostern voll. Vereinzelt kommen Demonstranten die Straße herunter, man erkennt sie an den mitgebrachten Schildern, die über den Köpfen der Einkäufer aufragen.

Das Kieler Friedensforum, Organisator des Ostermarsches, hat auf einem LKW eine Bühne aufgebaut, behängt mit Transparenten aus dem letzten Jahr. Auf der Bühne stimmen zwei ältere Männer ihre Gitarren, Eric und Anders werden gleich Lieder über Frieden spielen. Die Demonstranten sind warm angezogen, vom Himmel fallen Schneeflocken. Die Polizei sitzt in ihren warmen Bussen. Nichts passiert.

Einige haben Zettel, Stift und Kamera parat – Journalisten. Sie hatten wohl mit mehr Reibung gerechnet. Schließlich ist Kiel dieser Tage nicht irgendeine Stadt, in der gegen Krieg und Rüstungsindustrie marschiert wird. In Kiel werden die umstrittenen Dolphin-U-Boote für Israel gebaut, keine 1.000 Meter Luftlinie vom Ort der Kundgebung entfernt in der Förde.

Ferner hat sich Günter Grass mit seinem Gedicht „Was gesagt werden muss“ auf die Seite des Kieler Friedensforums geschlagen. Das Forum fordert die „sofortige Stilllegung der Kieler U-Boot-Produktion“. Manche halten Ausschau nach Schnäuzer und Pfeife. Vergebens.

Der Kieler U-Boot-Bau bleibt dann nur ein Thema unter vielen: Truppenabzug aus Afghanistan, bundeswehrfreie Schulen, Abrüstung statt Sozialabbau. Proteste gegen Grass’ Israel-Kritik: Fehlanzeige. Nur einzelne Demonstranten beziehen sich auf Grass. „Günter Grass gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“, hat ein Mann auf einen Zettel geschrieben, den er sich auf den Rücken geklebt hat. „Mit Grass: Ja, es muss gesagt werden!“, hat ein Anderer auf seinem Pappschild stehen. Zu Diskussionen kommt es nicht.

Dann geht es los, knapp 150 Menschen haben sich inzwischen versammelt. Es wird von Kriegsdrohungen gegen Syrien und Iran gesprochen, aber es bleibt leise. Zwischen den Redebeiträgen trägt Schauspielerin Tine Josch Gedichte von Erich Kästner, Ingeborg Bachmann und Bertolt Brecht vor. Im Publikum wird es lauter. Man tauscht sich über das bevorstehende Osterfrühstück, die Familie und die Kälte aus.

Der Ostermarsch scheint in die Jahre gekommen zu sein. Viele der bunt gekleideten Demonstranten haben graue Haare. Nur die Linken und einige andere beteiligte Gruppen haben eine Handvoll junger Menschen mobilisiert. Ihre Pace-Fahnen wehen im Wind. SOLVEJ LÜDKE