Die Einmischerin

Nein, ins deutsche Fernsehen hat es Rebecca Harms nicht geschafft mit ihrer Protestaktion im Fußballstadion im ukrainischen Charkiw. Als dort am Mittwoch zum EM-Vorrundenspiel gegen Holland das Deutschlandlied angestimmt wurde, entrollte die niedersächsische Grünen-Europaabgeordnete zusammen mit ihrem Fraktionskollegen Werner Schulz Transparente – Aufdruck: „Release All Political Prisoners“.

Verewigt ist das nur auf Fotos, denn TV-Bilder aus den Stadien filmt und verbreitet der europäische Fußballverband Uefa. Und der zeigt offenbar lieber feiernde Fans. Harms spricht daher von einer „Zensur der Uefa“ und hofft, „dass sich Medien und Politik darüber noch auseinandersetzen“. Denn, so ihr Fazit nach zweieinhalb Tagen vor Ort: Die Ukraine brauche „aktive Einmischung“.

In Sachen aktiver Einmischung ist die 56-Jährige Langzeitprofi: Mit 20 gründete sie die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg mit, wurde zur Ikone des Anti-Atom-Protests im Wendland. Jahrelang war sie BI-Sprecherin und saß bei Treckerkonvois immer wieder selbst am Steuer. Erst 1994 wechselte sie in die Politik und zog für die Grünen in Hannovers Landtag, 2004 ins Europaparlament.

Dort ist die Ko-Fraktionschefin zuständig für die Ukraine, die sie 1988 erstmals bereiste: Damals besuchte sie als erste Deutsche aus einer Nichtregierungsorganisation die Sperrzone um das havarierte AKW Tschernobyl. Bei ihrem Besuch jetzt war sie die erste deutsche Politikerin, die die in Haft erkrankte Oppositionsführerin Julia Timoschenko traf. „Sie versucht alles, um gesund zu werden“, sagt Harms, „ob man das in einem Gefängniskrankenhaus kann, bezweifle ich aber.“

Besuche bei inhaftierten Oppositionellen empfiehlt sie „dringend“ allen deutschen PolitikerInnen, die zu Fußballspielen in die Ukraine reisen. „Wenn man fährt, muss man sich einmischen“, sagt Harms. „Wären unsere Transparente vor dem Spiel entdeckt worden, wären wir nicht ins Stadion gekommen.“ So aber habe sie das Spiel „wahnsinnig gern geguckt“.  THA