Provinz plant Schulrevolution

In allen Landesteilen planen Kommunen gegen den Widerstand des Ministeriums Gemeinschaftsschulen. Vor allem Provinzstädte kämpfen mit schrumpfenden Hauptschulen

VON NATALIE WIESMANN

Das dreigliedrige Schulsystem in Nordrhein-Westfalen bröckelt. Vor allem ländliche Kommunen versuchen, kreativ mit den zurückgehenden Schülerzahlen umzugehen: Auch CDU-geführten Städten reicht es nicht mehr, die vielerorts auf eine Klasse pro Jahrgang verkümmerten Hauptschulen zusammenzulegen. Gegen den Widerstand des Schulministeriums planen sie neue Schulformen – auch wenn sie wissen, dass sie für ihre Modellversuche den Segen der Landesregierung benötigen.

Zum Beispiel Bad Lippspringe und Schlangen: An den beiden Hauptschulen der benachbarten ostwestfälischen Kommunen brechen die Schülerzahlen ein – die Realschulen können sich dafür vor Anmeldungen kaum mehr retten. „Einfach die Hauptschulen zusammenzulegen, das kann es auch nicht sein“, sagt der parteilose Bürgermeister Willi Schmitt. Denn dann stünde bei dem derzeitigem Trend in ein paar Jahren wieder eine neue Schulschließung an. „Wir brauchen mehr Qualität, um Schüler zu halten“, sagt Schmitt. Gemeinsam mit dem Schlangener Bürgermeister will er deshalb ein neues Modell versuchen. Auf eine konkrete Form will er sich noch nicht festlegen lassen: „Wir fangen erst an, uns Gedanken zu machen“, so Schmitt. Es könne in Richtung Gemeinschaftsschule oder Gesamtschule gehen. „Das Schulministerium muss sich jetzt auch bewegen.“

Bis dahin wollen sich auch andere Reformstädte nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Zu groß ist die Angst, dass durch den öffentlichen Druck das Schulministerium die Zustimmung verweigert. In Breckerfeld etwa plant die evangelische Realschule mit der Hauptschule zu einer Schule zu fusionieren. Doch über diese Bestrebungen will sich dort noch niemand öffentlich äußern. Hinter verschlossenen Türen arbeiten auch die Hauptschulrektoren in NRW an einem Aufruf wie ihre baden-württembergischen Kollegen. Erst nach den Sommerferien wollen sie öffentlich verkünden, dass ihre Schulform keine Zukunft hat.

Offensiver verhalten sich die beiden Chefs der münsterländischen Kleinstädte Horstmar und Schöppingen: Die CDU-Bürgermeister setzen sich lautstark für ihre geplante Gemeinschaftsschule ein. Dort sollen die Kinder bis zur siebten Klasse zusammen unterrichtet werden (taz berichtete). Ein Vorbild daran nimmt sich die sauerländische Gemeinde Schalksmühle. Auch dort sollen Haupt- und Realschule aufgelöst und eine Gemeinschaftsschule gegründet werden.

Dem Druck aus allen Landesteilen scheint auch Schulministerin Barbara Sommer (CDU) nicht mehr stand zu halten. In einem Gesprächprotokoll mit Gesamtschuleltern heißt es: „Frau Ministerin Sommer wies darauf hin, dass die demographische Entwicklung und das Anmeldeverhalten der Eltern ein Nachdenken über die Schulstruktur in NRW in den nächsten Jahren notwendig machen.“ Zeitlich werde dies nicht in dieser Legislaturperiode geschehen, aber auch nicht erst in 10 oder 12 Jahren, sagte die Ministerin weiter. Gerüchten zu Folge war Sommer nie sehr dogmatisch in dieser Frage. Sie stünde aber unter der Fuchtel ihres Staatssekretärs Günter Winands und des Koalitionspartners, heißt es.

Währenddessen plant die Stadt Mülheim gemeinsam mit dem Unternehmen Hochtief eine Zukunftsschule: Kita, Grundschule, Haupt- und Realschule sowie die Jugendhilfe sollen unter einem Dach zusammenfinden (siehe Interview unten). In einem Stadtteil mit hoher Arbeitslosigkeit sollen Kinder so mehr Chancen auf eine „Lebensbiographie ohne große Brüche“ haben, beschreibt es Thomas Konietzka, Projektleiter für die Stadt Mülheim. „Ziel ist es, die Bildungsbenachteiligung aufzuheben“, sagt er. Für das Modell nach dem Vorbild von Schweden wolle er auch die EU und die Landesregierung gewinnen.