Wohliges Gefühl des Nichtdazugehörens

Die Städtebücher vom Verbrecher Verlag sind ein Fest für Freunde des subversiven Feuilletons, des Spotts und der randständigen kleinen Weisheiten. Das belegt jetzt aufs Schönste das neue „Frankfurtmainbuch“

Wer einst jung und autonom war, machte vorwiegend in den Semesterferien „Städtereisen“ zu Freunden, die sich an interessanten linksradikalen Stätten aufhielten und entsprechende kulturelle Zentren oder Kneipen besuchten. Heutzutage hat man keine Zeit mehr für solche Abenteuer und kauft dafür Bücher über Städte, am besten von Leuten, die aus der Provinz kommen und in jungen Jahren in Metropolen gestrandet sind. Sie gehören heute zum freischaffenden linksintelligenten Prekariat, das gesellschaftlichen Respekt erlangt hat, seit Kathrin Passig von der Zentralen Intelligenz Agentur mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet wurde.

Die Städtebuchreihe erscheint seit 2002 im Verbrecher Verlag, dessen Name man die subversiv-großspurig-autonome Vergangenheit abliest. Der idealtypische Autor der inzwischen auf elf Bände angewachsenen Reihe ist zwischen 30 und 50 Jahre alt, schreibt für die taz, die titanic und für Jungle World. Die Reihe begann in Kreuzberg, das in den Achtzigerjahren für einen Traum vom besseren Leben stand. Ihm folgte das Mittebuch, denn Berlin-Mitte stand in den Neunzigerjahren für den Traum vom schönsten Kapitalismus. Schließlich erschien das Neuköllnbuch über den Mietblöckestadtteil ohne Traum, wo im Wesentlichen gar nichts passiert, außer ein bisschen Kriminalität und Kültür.

Anschließend besuchten die Verbrecher die Gegenden, aus denen sie in die Hauptstadt gekommen waren, zunächst „den Urlaubsort und das Hassobjekt“ Bielefeld. Dann ging es nach „Marburganderlahn“, „Lunapark, Versteck und Exil“. Die vorwiegende Frage bei diesen Provinzbüchern, die die Autoren durchgehend unterhaltsam beantworteten, war: Was will ich eigentlich hier?

Kaum besser erging es allerdings den für das Glück zu intelligenten und für Zufriedenheit zu jungen Autoren in den westdeutschen Großstädten, etwa in Hamburg, „Weltstadt“ und „veritable Kleinbürger-Vorhölle“ zugleich, mithin die „Hauptstadt des Widerstandes gegen das US-Imperium“. Oder in München, wo Bier, Bongotrommeln und Blasmusik mit Dekadenz und Drogen eine friedliche oktoberfestisierte Koexistenz eingegangen sind. Oder schließlich in Köln, dem „Idealort provinziellen Glücks“, in dem ein Teil für und ein Teil vom Karneval lebt. Der integrierte Rest schreibt für Spex und Intro, oder eben für die Verbrecher.

Nach einem Zwischenstopp, dem „Hauptstadtbuch“, jenseits von „Hauptstadtwahn“ und „Dauergenörgel“, ist die Gang nun in Frankfurt am Main angekommen. Viele Jahre war dies, wie es programmatisch heißt, die einzige Stadt in Deutschland, in der man ahnen konnte, was Urbanität bedeutet. Das hatte damit zu tun, dass es die „Stadt der Randale“ gewesen ist, dass hier „das wohlige Gefühl des Nichtdazugehörens, wenn nicht gleich die ewige und innere Dissidenz“ typisch war. Hinzu kam, dass hier 1990 die einzige Großdemo gegen die deutsch-deutsche Vereinigung stattfand.

Doch seit das Frankfurter Leben fest in der Hand der ehemaligen Genossen vom Revolutionären Kampf sei, die sich mit den Bankmanagern bestens verstünden, befinde sich das Ansehen der Stadt im Niedergang. Nun tanzen hier im Literaturhaus Führungskräfte von Eichborn und Suhrkamp mit Feuilletonmittvierzigerinnen zu Crosby, Stills, Nash & Young. Gegen die „linksradikale Neu-Aristokratie“ setzen die Verbrecher die Trinkhallen und Wasserhäuschen, sofern man mit dem Bier nicht auch gleich eine heimatliche Identität vom kleinen Mann gereicht bekommt.

Hier, wie in allen anderen Büchern, kommt schließlich auch die Poesie der sogenannten antinationalen Wohlfahrtsausschüsse der Neunzigerjahre zu Wort: „Heint Nacht um zwelf erscht schlaf ich ei, / Da stolpern zwaa voriwwer / un brille laut die Wacht am Rhei, / so dass ich uffwach driwwer. // Ich haww'en aach en Dank gezollt: / ‚Ihr Männer ihr, ihr brave! / Wacht ihr am Rhei, so viel derr wollt, / in Frankfort lasst mich schlafe!‘ “

Diese Bücher sind ein Fest für Freunde des subversiven Feuilletons, des Spotts und der randständigen kleinen Weisheiten. Sie sind keine linken Heimatbücher, sondern unterhaltsame wie intelligente Popliteratur über Orte, an denen Radikalität ausgelebt wurde. Sie erzählen Geschichten, erklären nichts und beschreiben doch einiges. Für ehemalige Städtereisende sind sie aufgeklärte Nostalgie vom Feinsten.

JÖRG SPÄTER

Werner Labisch und Jörg Sundermeier (Hg.): „Frankfurtmainbuch“. Verbrecher Verlag, Berlin 2007, 208 Seiten, 13 Euro