Eine Allee von Galgen

Die Armeen der K.-u.-K.-Monarchie haben im 1. Weltkrieg tausende Zivilisten ermordet. Darüber spricht man in Österreich nicht gern

Das Bild des letzten österreichischen Kaisers Franz Josef hängt heute wieder in vielen Kaffeehäusern und Bierschenken der westukrainischen Stadt Lviv. Die Zeit als Lviv noch Lemberg hieß und seine Universität in der österreichischen Doppelmonarchie zu den meist angesehenen des Kaiserreichs zählte, verklären viele Ukrainer heute als die „Goldene Zeit.“ Gütig schaut der bärtige Kaiser auf die Bier- und Kaffeetische.

Ein Buch, das jetzt im Primus Verlag Darmstadt erschienen ist, würde dem Kaiser dagegen gar nicht gefallen. Es kratzt am „Mythos Österreich“, der sich bis heute gehalten hat: Ein Land, das zwar den Ersten Weltkrieg ausgelöst hatte, dessen Armee jedoch eher ungeordnet und leutselig vorrückte und in den eroberten Gebieten den Herrgott einen guten Mann sein ließ.

Nix woar’s, sagt man in Wien: Es war ganz anders. Das Bild, das der Fotohistoriker Anton Holzer von den österreichischen Truppen zeichnet, stört fast hundert Jahren danach die Ruhe über den Gräbern. Holzer hat in jahrelangen Recherchen dutzende von Fotodokumenten zusammen getragen, die den systematischen Mord an zigtausenden von Zivilisten durch die österreichische Armee belegen.

Mehrere Jahre hat Holzer in Privatarchiven und in Archiven ehemals von kaiserlich-österreichischen Truppen besetzten Gebieten nach Fotobelegen geforscht, die den Krieg hinter dem Krieg zeigen. Bilder von erschreckender Grausamkeit, Hinrichtungen von Zivilisten. Leichen, die am Galgen baumeln, darunter Frauen, Priester, Bauern und sogar bisweilen Kinder. Vor allem entlang der russischen Front, an der die österreichische Armee gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs schwere Niederlagen einstecken musste, vermuteten die Militärs überall Spione. Ein russisches Geldstück in der Tasche reichte manchmal aus, den Besitzer als Spion zu brandmarken. Laut österreichischem Militärrecht konnten „auf frischer Tat ertappte Spione“ standrechtlich ohne Gerichtsverfahren erschossen oder aufgehängt werden.

Eine Allee von Galgen säumte den Weg der österreichischen Truppen aber auch in Serbien. Unzählige Menschen wurden ermordet, ohne dass je ein Gerichtsverfahren stattfand. Holzer hat den vielen Namenlosen, die in der letzten Stunde ihres Lebens auch noch als Fotomotiv missbraucht wurden, eine Ruhestätte zwischen zwei Buchdeckeln gegeben.

30.000 Serben und eben so viele soviel Ukrainer (Ruthenen) wurden Opfer dieser Hinrichtungsmaschinerie an Zivilisten, schätzt Holzer. Zur Erbauung und Abschreckung waren in den ersten Kriegsjahren Foto-Postkarten im Umlauf, auf denen die Gehängten als „Verräter am Vaterland“ dargestellt wurden.

Obwohl viele der Fotos von österreichischen Militärfotografen stammen, fand Holzer die Mehrzahl der Bilder in privaten Archiven. „In den offiziellen Geschichtswerken des Ersten Weltkrieges findet sich keinerlei Hinweis auf die Massenhinrichtungen“, sagt Holzer.

Von deutschsprachigen Historikern fehle nach dem Ersten Weltkrieg jegliche Stellungnahme. „Es ist“, so schreibt Holzer, „als ob ihnen der Krieg die Sprache verschlagen hätte.“ So stammen fast alle schriftlichen Zeugnisse jener Gräueltaten von Augen- und Ohrenzeugen und wurden vor allem von linken Schriftstellern in den Nachkriegsjahren zum Beweis der Kriegslüsternheit eines autoritären monarchistischen Systems angeführt. Erschütternd zu den baumelnden Leichen kommen auf vielen Fotos die fröhlichen Gesichter der Henker und der Schaulustigen noch hinzu. Holzer gab denn auch seinem Buch einen Titel in Anlehnung an ein Zitat des Wiener Schriftstellers Karl Kraus aus dessen Werk „Die letzten Tage der Menschheit“. Kraus fand: „Ach, dieses Lächeln im Krieg war erschütternder als das Weinen!“

Und er beschäftigt sich mit einer die Analogie aus der Jetztzeit. Das Verhöhnen von Opfern, meint Holzer, fände bis heute seine Fortsetzung wie in Bildern aus Abu Ghraib. Die fotografische Inszenierung der Gewalt übe einen faszinierenden Sog aus. „Um diesen Sog genauer zu bestimmen“, schreibt der Autor, „reicht es nicht aus, diese abstoßenden Ereignisse moralisch zu verurteilen. Vielmehr ist es notwendig, die Bilder sehr genau zu betrachten. Und auch den Betrachtern dieser Bilder über die Schulter zu blicken – das heißt letztlich uns selbst.“ PHILIPP MAUSSHARDT

Anton Holzer: „Das Lächeln der Henker“. Primus Verlag, Darmstadt 2008, 244 Seiten, mit zahlreichen Abb., 39,90 Euro