Achill oder Odysseus

WIR SIND HELDEN In der Demokratie ist das Heroische nur den Helden des Alltags erlaubt. Darf’s ein bisschen mehr Heroen geben?, fragt die Zeitschrift „Merkur“

Das Freiheitsversprechen, das der Held verkörpert, hat ihn trotz aller Kritik im „postheroischen Zeitalter“ nie ganz sterben lassen. Im neuen Sonderheft der Zeitschrift Merkur zum Thema „Heldengedenken“ wird die Frage gestellt, wie ein Held beschaffen sein muss, damit er – Einzelkämpfer mit Sonderstatus – in eine demokratische Gesellschaft passt.

Das Heft war gerade erschienen, als Dominik Brunner von Jugendlichen erschlagen wurde, als er andere beschützen wollte. Bild fordert, dem „Helden von Solln“ posthum das Bundesverdienstkreuz zu verleihen, für andere hat Brunner lediglich Zivilcourage bewiesen. Der Weiße Ring und andere raten: „Wer Zeuge einer Gewalttat wird, sollte nicht überstürzt eingreifen.“

Ist Dominik Brunner also doch kein Held? Zumindest kein moderner, müsste Susan Neiman sagen, wenn sie ihren Merkur-Aufsatz „Wenn Odysseus ein Held sein soll, dann können wir es auch sein“ ganz ernst nimmt. Der Rat des Weißen Rings nämlich entspricht dem Vorgehen des antiken Heroen Odysseus, den Neiman als modernen Helden preist, weil er die Gefahr durch List und planvolle Überlegung meistert und sich nicht, wie der romantische Held Achill, ohne zu überlegen, todesmutig in den Kampf stürzt, egal wie hoch der Preis ist. Brunner wäre also eher Achill.

Tatsächlich gab es nicht wenige Stimmen, die in Brunners Eingreifen eher ein abschreckendes Beispiel für Übermut als ein vorbildliches für Mut sahen, das zur Folge haben könne, dass sich nun erst recht niemand mehr trauen würde, couragiert einzuschreiten.

Dominik Brunner dafür verantwortlich zu machen, ist falsch. Es ist doch gerade das Moment des Irrationalen und des Versagens, das den wahrlich überirdisch Aufspielenden (man denke an das Karriereende des Fußballgotts Zinedine Zidane) zu einem irdischen Helden – weil fehlbar – macht. Ob Achill, Sisyphos oder Ödipus, die griechischen Heroen werden durch ihre Rolle als Mittler zwischen der Welt der Götter und der Welt der Menschen zerrissen, mit Wahnsinn bestraft oder getötet. Ob Marlene Dietrich, Che Guevara oder die polnische Kranführerin Anna Walentynowicz, auch im 20. Jahrhundert werden jene zu Ikonen oder Idolen, die sich durch eine ungewöhnlich kompromisslose Verweigerungshaltung auszeichnen und ein tragisches Ende durch Tod, Unverständnis oder Vergessen gefunden haben.

Dass Ulrike Meinhof und Mohammed Atta in diese Reihe passen, behauptet Hans Ulrich Gumbrecht in seinem Aufsatz über Don Quijote. Für den Helden sei die moderne Welt zu kompliziert geworden. Sein Bestreben, einfach Gutes zu wollen, könne ihn zum Terroristen machen. Gumbrechts Fazit: Wenn Heldentum auf Wirklichkeit trifft, nimmt es immer ein blutiges Ende. Mag sein, doch ist es nicht ganz irrelevant, will man derartige Taten bewerten, ob die von den Helden anvisierte Wirklichkeit aus Vietnamkrieg und Nazirichtern besteht oder aus Angestellten eines Bürohochhauses.

Ein Refugium gibt es aber, wo Heldentum fast immer widerspruchsfrei geduldet wird, der Fußball. Er wäre einen Aufsatz wert gewesen, der untersucht, welche Vorstellung transportiert wird, wenn von deutschen oder Schalker Helden gesprochen wird. DORIS AKRAP

Karl Heinz Bohrer, Kurt Scheel (Hg.): „Heldengedenken – Über das heroische Phantasma“. Klett-Cotta, Stuttgart 2009. 19 Euro