TANIA MARTINI LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Profitstreben und Wohl- tätigkeit

An den Rändern des Krisenvokabulars dümpelt eine unglamouröse Wortleiche in einer Art Halbrenaissance vor sich hin. Frau Merkel, der Papst, Herr Westerwelle und einige Linke holen sie neuerdings wieder hervor – die Rede ist vom Gemeinwohl.

Auf konservativer Seite ist es das gutmenschliche Einklagen einer neuen Moral gegenüber der zügellosen Wirtschaft, auf neoliberaler Seite die zeitgemäß kalkulierte Reue, die diesen verstaubten wie zweifelhaften Begriff auf den Plan ruft. Den Ideologiekritikern war er von jeher Ausdruck reiner Herrschaftsideologie – Mittel, um Einzelinteressen als allgemeine auszugeben. Ein vertrackter, diskreditierter, polarisierender Kernbegriff politischer Philosophie, der vieles bedeuten kann: Wohl der Allgemeinheit, Staatsinteresse, Gemeinnutz … Der Finanzmagnat George Soros sagte neulich in einem Spiegel-Interview, sein Erfolg habe ihm moralische Probleme eingebracht, er verhalte sich entsprechend verantwortungsbewusst, es liege ihm das Gemeinwohl am Herzen.

Soros ist ein „liberaler Kommunist“. Das schreibt der slowenische Philosph Slavoj Žižek. Eine ironische Überspitzung, die der Maniker und Popstar seiner Zunft bereits 2006 in einem Essay aufnahm, der nun in einem sehr lesenswerten englischen Taschenbuch mit dem Titel „Violence“ (Profile Books) erschienen ist. Liberale Kommunisten sind die Soros, Gates und anderen CEOs in ihrer Parallelfunktion als Finanz- und Charitymagnaten, als gleichzeitige Verursacher und Bekämpfer von Ungerechtigkeit, jenseits davon, nur gut oder nur böse zu sein.

Es gibt eine neue Krisenmoral, die Ungerechtigkeit in der Aufforderung zu gutem Handeln zu verdecken droht. Es genügt nicht, die moralische Rede vom Gemeinwohl gegen den Wildwestkapitalismus in Stellung zu bringen. Dies könnte gar eher von reiner Selbstaufgabe zeugen – vom Verlangen nach Almosen statt nach der Fülle des Möglichen.

■ Die Autorin ist taz-Kulturredakteurin