„Es mangelt an Rechtsbewusstsein“

KUNGELEI Hans-Martin Tillack hat ein Sittenbild der Entscheidungsträger geschrieben und ruft „Die korrupte Republik“ aus. Denn: In der Korruptionsbekämpfung ist Deutschland ganz weit hinten

■ geb. 1961, ist Autor und Journalist. „Die korrupte Republik. Über die einträgliche Kungelei von Politik, Bürokratie und Wirtschaft“. Hoffmann und Campe, Hamburg 2009, 250 Seiten, 19,95 EuroFoto: ap

taz: Herr Tillack, was ist Korruption?

Hans-Martin Tillack: Korruption ist der Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Vorteil. Diese Definition der Weltbank umfasst nicht allein das eingeschränkte Verständnis von Korruption, wenn jemand einem Beamten einen Briefumschlag mit Geld überreicht. Sie reicht weiter.

Das heißt?

Ich beschreibe Beispiele klassischer Korruption wie die Schmiergeldzahlungen bei Siemens oder die Abgeordnetenbestechung. Daneben schildere ich aber auch Einfallstore zur Korruption, wie das Regierungssponsoring oder den sogenannten Drehtüreffekt.

Welcher wirtschaftliche Schaden entsteht jährlich in Deutschland durch Korruption?

Es gibt dazu lediglich Schätzungen. Der Linzer Ökonom Friedrich Schneider nimmt an, dass die Verluste durch Korruption in Deutschland an die 300 Milliarden Euro im Jahr heranreichen. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter schätzt den Schaden auf über 200 Milliarden im Jahr.

Wo gehen diese Gelder verloren?

Zum Beispiel bei der Auftragsvergabe durch öffentliche Behörden. Diese erfolgt in Deutschland häufig intransparent. Wenn eher Freunde bedacht werden, statt Auftragnehmer öffentlich transparent über Ausschreibungen zu ermitteln, ist das Risiko hoch, dass zu viel gezahlt wird. Die Rechnung begleicht der Steuerzahler.

Das Informationsfreiheitsgesetz sollte solcher Kungelei vorbeugen.

Das Gesetz ist sehr mangelhaft. Die Ausnahmebestimmungen sind problematisch, insbesondere die sehr restriktive Regelung über Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die Behörden dann noch restriktiver auslegen, als es nötig wäre.

Was bedeutet das in der momentanen Situation?

Im Zusammenhang mit dem Konjunkturpaket wurden die Vergaberichtlinien für öffentliche Aufträge von der Bundesregierung sogar noch einmal gelockert. Aktuelle Studien belegen, dass bei Unternehmen, die ums Überleben kämpfen, die Versuchung steigt, zu illegalen Mitteln zu greifen. Beides zusammen vergrößert das Korruptionsrisiko.

Aber Unternehmen werden immer häufiger ertappt.

Ja, das Entdeckungsrisiko ist gestiegen, da einige Staatsanwaltschaften nun ernsthafter ermitteln. Allerdings kommt der Ermittlungsdruck, wie etwa im Fall Siemens, meist aus dem Ausland.

Weshalb hat Deutschland noch nicht das Übereinkommen der UN gegen Korruption ratifiziert?

Die Bundestagsabgeordneten müssten dafür den Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung deutlich ausweiten. Viele Abgeordnete aus CDU und SPD verweigern aber ihre Zustimmung, weil sie Angst vor dem Staatsanwalt haben.

Fehlt den deutschen Führungskräften Anstand und Moral?

Es mangelt vor allem an Rechtsbewusstsein. Wenn Unternehmer argumentieren, es sei legitim, mit Schmiergeldzahlungen Aufträge zu ergattern, weil sie damit angeblich Arbeitsplätze sichern, ist das offensichtlicher Unsinn. Auslandsbestechung ist bei uns inzwischen genauso strafbar wie Diebstahl.

Erschwert der gegenwärtige Strukturwandel der Medien den investigativen Journalismus, der für solche Enthüllungen notwendig ist?

Absolut. Die Tatsache, dass die traditionellen Medien Einnahmen sukzessive verlieren, führt zur Erosion der investigativen Recherche, da sie teuer ist. Nachlassender Mediendruck könnte die Korruption durchaus steigen lassen.

INTERVIEW: THOMAS HUMMITZSCH