„Die DDR bekam große Schwierigkeiten“

TODESSTREIFEN 1976 wird Michael Gartenschläger beim Abbau der Selbstschussanlagen an der DDR-Grenze erschossen. Seine Aktion hatte trotzdem Erfolg, erzählt Freya Klier in einer Biografie über Gartenschläger

■ 1950 in Dresden geboren, Schauspielerin und Theaterregisseurin, 1988 Ausreise aus der DDR mit Stephan Krawczyk, lebt als Autorin und Filmregisseurin in Berlin Foto: Nadja Klier

taz: Frau Klier, als Mann, der Selbstschussanlagen an der DDR-Grenze abbaute, ist Michael Gartenschläger in den 1970er-Jahren bekannt geworden. Wer war er?

Freya Klier: Gartenschläger war ein Jugendlicher aus Strausberg in Brandenburg, der mit seinen Freunden ins Fadenkreuz der DDR-Organe geriet, weil er westliche Musik gehört hat. In den Jahren 1958 bis 1960 ist er heimlich nach West-Berlin gefahren, um ins Kino zu gehen und Rockmusik zu hören.

Was passierte dann?

Unmittelbar nach dem Mauerbau haben Gartenschläger und einige Freunde Protestlosungen an Scheunentore geschrieben, unter anderem „Macht das Tor auf“ und „Kommunisten und Nazis raus“. Außerdem haben sie eine freistehende Scheune angezündet. Für all das wurden sie in einem Schauprozess zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verdonnert. Gartenschläger war erst 17. Gegen das Urteil gab es internationalen Protest, unter anderem von Amnesty International.

Wie erging es Gartenschläger im Gefängnis?

Er hat in einer der schlimmsten Haftanstalten der DDR, im Zuchthaus Brandenburg, Widerstand geleistet. Er ist beispielsweise den Schornstein hochgeklettert und hat dort ganz groß das Wort „Hunger“ angeschrieben. Anfang der Siebzigerjahre wurde er freigekauft, ging nach Hamburg und hat dort zusammen mit einem Freund etwa 30 Menschen aus der DDR-Diktatur herausgeschmuggelt.

Was war die Motivation von Gartenschläger, 1976 die Selbstschussanlagen abzubauen?

Die meisten Menschen, die von den 118 scharfkantigen Metallsplittern getroffen wurden, starben, ehe sie den letzten Grenzzaun erreichten. Gartenschläger baute die Todesautomaten SM-70 unter Lebensgefahr ab, um der Weltöffentlichkeit zu zeigen, was an der DDR-Grenze passierte. Fotos von seiner abgebauten SM-70 erschienen in der Zeitschrift Der Spiegel. So konnte er dokumentieren, wie an der Grenze Menschen zu Tode kamen oder verstümmelt wurden. Das wiederum brachte die DDR-Regierung in große Schwierigkeiten.

Als Gartenschläger den Abbau der mörderischen Automaten zum dritten Mal wagte, erwartete ihn ein Spezialkommando der Staatssicherheit und durchsiebte ihn mit Schüssen. Die Mörder kamen – wie fast alle Mauerschützen – straflos davon.

Hat Gartenschläger politisch etwas bewirkt?

Ja. Das Ansehen der DDR war so ramponiert, dass Honecker ab 1983 die 60.000 SM-70 abbauen und die Minen räumen ließ, umeinen zugesagten Milliardenkredit aus Bonn zu bekommen.Interview: Hans-Joachim Föller

Freya Klier: „Michael Gartenschläger. Kampf gegen Mauer und Stacheldraht“. Bürgerbüro e. V., Berlin 2009. 160 Seiten, 9 Euro