Mit Lästerzunge und Whiskeyflasche

KORRESPONDENZ „Ausgewählte Briefe“ der US-amerikanischen Kriegsreporterin Martha Gellhorn

Sie lästerte über die „Ladenschwengelfrau“ Mrs Thatcher, Stephen Spender hielt sie für einen „Idioten“

VON KLAUS BITTERMANN

Bekannt war sie als Kriegskorrespondentin. Seit dem Spanischen Bürgerkrieg hat sie sich auf fast allen Kriegsschauplätzen der Welt des vergangenen Jahrhunderts herumgetrieben. Ihre Reportagen sind Klassiker des Genres, sie waren erhellend und getrieben von einer moralischen Empörung über die Grausamkeiten, die von nationalen und wirtschaftlichen Interessen in Kauf genommen wurden. In Deutschland veröffentlichte der konservative Albrecht Knaus 1989 einige von Gellhorns Kriegsberichten aus der Zeit zwischen 1937 und 1987. Ein Erfolg wurde das Buch nicht, vermutlich weil die Deutschen dem vergangenen Weltgeschehen desinteressiert gegenüberstanden, da sie selbst eine so unrühmliche Rolle darin gespielt hatten.

Aber die Reportagen waren nicht das, was Gellhorn wirklich am Herzen lag. Die Auftragsschreiberei sei „gut fürs Portemonnaie“ aber „abstoßend im Hinblick auf echte schöpferische Arbeit“. Anerkannt werden wollte sie als Schriftstellerin. Viel darüber erfährt man nun aus dem Band „Ausgewählte Briefe“, in denen sie sich über ihre Selbstzweifel äußert, doch keine große Schriftstellerin zu sein. Aber gerade die Briefe, so entdeckt man bei der Lektüre, sind genau die literarische Form, die Gellhorn wirklich liegt und aus der sie mehr macht als eine respektable Romanautorin und eine genau beobachtende Reporterin.

Ungefilterte Wut

Ihre Korrespondenz ist grandios, hinreißend, sensationell, sie offenbart einen großzügigen und leidenschaftlichen Lebensentwurf, der heute ausgestorben scheint. Gellhorn schrieb sich mit vielen bedeutenden Künstlern und Politikern, wie Eleanor Roosevelt, Leonard Bernstein, H. G. Wells, Ernest Hemingway, mit ihrer Mutter und zahlreichen Freunden, denen gegenüber sie kein Blatt vor den Mund nehmen musste.

„Was für eine Rasse ist das, diese Deutschen: Wenn man bedenkt, dass wir versucht haben, die Malaria auszurotten, könnten wir uns doch allemal ein wenig Zeit nehmen, den Deutschen auszurotten, der noch sichereren und hässlicheren Tod bringt“, schrieb sie im August 1944, als sie in Italien das Schlimmste sah, „was ich in meinem Leben gesehen habe“. Es war ein Massengrab mit Leichen, 320 von den Deutschen erschossenen Geiseln. Es ist diese unmittelbare Subjektivität, die ungefilterte Wut, die die Lektüre ihrer Briefe so aufregend macht, weil man in der Literatur schließlich keinen ausgewogenen journalistischen Kommentar hören will, sondern impulsive Reaktionen, an denen man merkt, dass da jemand lebt, leidet, sich freut, verzweifelt ist, niedergeschlagen, ein Mensch mit Gefühlen und emotionalen Abgründen.

Flucht ins Lesen

Natürlich waren ihre Urteile unausgewogen und ungerecht, aber schließlich war Martha Gellhorn auch eine streitbare Person, die sich einmischte und das auch von ihren Briefpartnern verlangte. Ihrem Exmann Hemingway warf sie erbärmlichen, „speichelleckenden Narzissmus“ vor, und sie „hätte lieber den Pazifik durchschwommen, als mich über eine bloße Freundschaft hinaus“ auf H. G. Wells einzulassen, hatte sie doch „eine Fülle attraktiver junger Männer zur Hand“. Sie lästerte über die „Ladenschwengelfrau“ Mrs Thatcher, und Stephen Spender hielt sie für einen „Idioten“. Immerhin konnte man über diese Leute herziehen, schlimmer waren Menschen, die sie kaltließen, mit denen man „viel über nichts reden“ musste.

Martha Gellhorn flüchtete sich ins Lesen: „Ich lese, wie man ans Ufer schwimmt.“ Vielleicht weil sie so viel unterwegs war, suchte sie die Einsamkeit, den Rückzug, die Besinnung auf sich selbst. Dann stellte sie sich vor, später und alt geworden, „mit Lästerzunge und vielen ähnlich herzhaften Altersgenossen über die menschliche Verfassung herzuziehen, eine Whiskeyflasche am Ellbogen“. Ein genormter Lebensentwurf sieht anders aus. „Ich kann mich mit allem auf der Welt arrangieren außer Langeweile, und ich will kein guter Mensch sein … Ich will die Hölle auf Rädern sein“, schrieb sie. Ihr unbändiges Verlangen nach einem zum Platzen aufregenden Leben, das „leidenschaftlich und heftig und voller Lachen und laut und lustig wie die entfesselte Hölle“ ist, machte sie zu einer rastlos Umherschweifenden, die nirgends sesshaft wurde.

Mit fast 90 Jahren und fast vollständig erblindet nahm sie sich 1998 das Leben. Ihre Briefe sind Zeugnis einer unabhängigen und starken, freilich auch zerrissenen Frau, die vielleicht keine besonders gute Analytikerin war, aber großzügig, geistreich und trinkfest, mit einem verlässlichen Urteilsvermögen. Man kann gar nicht genug kriegen von ihrer Korrespondenz. Ein riesiger Schatz, den es noch zu entdecken gilt. Schade ist, dass die deutsche Ausgabe nur eine Auswahl der englischen „Selected Letters“ enthält, in denen ihre Biografin Caroline Moorehead auch nur einen Bruchteil ihrer Briefe berücksichtigte.

Martha Gellhorn: „Ausgewählte Briefe“. Herausgegeben von Caroline Moorehead. Aus dem Englischen von Miriam Mandelkow. Dörlemann Verlag, Zürich 2009, 416 Seiten, 24,90 Euro