Tugend und Watschelgang

REVOLUTION Ludwig XVI. und Robespierre bekämpften einander. Eine Doppelbiografie beleuchtet die so unterschiedlichen Männer

Sie prägten die Französische Revolution: der eine durch Zögern, der andere durch rastloses Tun

VON MATTHIAS LOHRE

Die beiden Männer ähnelten einander – zumindest im Sterben. Der König und der Revolutionär schritten, jeder für sich, durch eine johlende Menge aufs Schafott. Ludwig XVI. und Maximilien de Robespierre bewahrten Haltung, als sie ihren Kopf unter die Guillotine legten. Und als ihr Haupt fiel, schrie das Pariser Publikum: „Nieder mit dem Tyrannen! Es lebe die Republik!“

Die Doppelbiografie „Der König und sein Richter“ beschreibt das Leben des letzten Königs des Ancien Régime und jenes Mannes, der die Revolution immer weiter vorantrieb, den König Anfang 1793 aufs Schafott schickte und nur eineinhalb Jahre später selbst dort starb. Beide Männer prägten den Verlauf der Französischen Revolution: der eine durch Zögern, der andere durch rastloses Tun.

Der ehemalige Hörfunkjournalist Uwe Schultz hat viele Biografien über Persönlichkeiten des absolutistischen Frankreichs verfasst, unter anderem über Ludwig XIV., Madame de Pompadour und den Philosophen René Descartes. Seine neue Doppelbiografie entwickelt durch die im Wechsel erzählten Lebensgeschichten eine unterschwellige Spannung. Sie begleitet die Leser durch die erste Hälfte der 400 Buchseiten. Die Konzentration auf die Motive, Zweifel und Hindernisse der beiden Männer deutet an, wie die Geschichte sich hätte entwickeln können, hätten die Protagonisten im Wirrwarr der Umwälzungen anders gehandelt.

Den König beschreibt Schultz als nicht zum Despoten gemacht. Der wankelmütige Mann mit dem Watschelgang begeistert sich vor seiner Krönung für die liberalen Ideen des Naturrechts: „Ich muss alle Menschen gleich und unabhängig durch das Recht der Natur betrachten.“ Doch bleibt für Ludwig klar, dass er von Gott zur Herrschaft bestimmt ist.

Als Kriegskosten, Misswirtschaft und schlechte Ernten seinen Staat 1788 an den Rand des Bankrotts bringen, beruft er die Generalstände. Doch die Versammlung von Adel, Klerus und Besitzbürgern verselbständigt sich. Anstatt ihm genehme Finanzreformen durchzusetzen, erklären sich die Ständevertreter zur Nationalversammlung, die sich das Recht zuspricht, eine Verfassung zu schaffen. Mal versucht Ludwig durch Zugeständnisse, mal durch Drohungen seine Herrschaft zu sichern. Stets aber handelt er zu spät angesichts des reißenden revolutionären Stroms.

Auf der anderen Seite des Stroms steht ein schmaler Jurist mit sorgfältig gepflegter Perücke: Maximilien de Robespierre. Der junge Abgeordnete ist Schüler Jean-Jacques Rousseaus. In dessen Schrift „Der Gesellschaftsvertrag“ von 1762 heißt es: „Im Übrigen wird jeder Missetäter, der das gesellschaftliche Recht angreift, durch seinen Frevel zum Rebellen und Verräter am Vaterland.“ Rousseaus Lehren versteht er als Auftrag zur Vernichtung aller, die seinem Verständnis von gesellschaftlicher Tugend zuwider handeln.

Das gilt auch für Ludwig XVI., für den Robespierre nach dessen Inhaftierung 1792 den Tod fordert: ohne Gerichtsurteil, sondern als Notwehr eines Volkes gegen einen es bedrohenden Tyrannen. Schultz zeichnet Robespierre als Überzeugungstäter, dessen analytischer Verstand nur übertroffen wird von einer narzisstischen Vernichtungswut. Der Furor steigert sich 1793 zur terreur. Erst als jeder Revolutionär fürchten muss, Ziel von Robespierres nächster Mordkampagne zu werden, findet sich 1794 eine Mehrheit zu seinem Sturz. Ohne Verhandlung zum Tode verurteilt, wird er zum Opfer der von ihm eingerichteten Tribunale.

Uwe Schultz beschreibt die Geschehnisse souverän und detailfreudig. Oft aber wuchern seine Beschreibungen zu unüberschaubaren Satzgirlanden voller Einschübe, Rückverweise und Detailinformationen. Dann wirkt seine vermeintliche Distanziertheit gegenüber dem blutigen Geschehen fast blasiert. Die Revolution mit Zigtausenden Toten im ganzen Land und unübersehbaren Folgen erscheint mitunter wie ein Theaterstück.

Auch stehen die Lebensläufe der beiden Männer letztlich seltsam unverbunden nebeneinander. Was wussten sie voneinander? Was verband sie? Hier einen Bezug herzustellen, hätte dem Buch gutgetan.

Uwe Schultz: „Der König und sein Richter. Ludwig XVI. und Robespierre. Eine Doppelbiographie“. C. H. Beck, München 2012, 400 Seiten, 24,95 Euro