Der Domchor ist verstimmt

Kirchenvorstand ignoriert Votum von Chor und Landeskirchen-Musikdirektor bei der Berufung des neuen Dom-Kantors

Orgelkonzerte sind preiswerter als große Chorwerke mit externen Solisten

Tobias Gravenhorst aus Uelzen soll neuer Domkantor und damit Nachfolger von Wolfgang Helbich werden. Das hat der Konvent der Bremer Domgemeinde hat nach dem langen Findungsverfahren am Donnerstag beschlossen. Damit setzt es sich über den Willen der Findungskommission und insbesondere gegen die eindeutigen Voten des Domchores, des Orchesters „Kammersinfonie“, das dem Domchor regelmäßig bei den Konzerten begleitet, und gegen Landeskirchen-Musikdirektor Ansgar Müller-Nanninga hinweg. Diese hatten sich nämlich für einen anderen Kandidaten ausgesprochen.

„Der Chor ist sauer“, sagt Siegfried Wehrmann, Sprecher des Chorvorstandes klipp und klar. Denn die eindeutige Ansage der zuständigen verwaltenden Bauherrin Edda Bosse hatte gelautet: das Votum des Chores sei wichtig. Es werde nicht übergangen. Daraufhin hatte das Vokalensemble in drei intensiven Probenwochen mit drei Kandidaten gearbeitet – insgesamt mehr als 30 Stunden. Die Kandidaten hatten sich mit Chorkonzerten, Orgel-Konzerten und einer Gottesdienst-Begleitung auch öffentlich präsentiert.

Nach der intensiven Arbeit war für Chor und Orchester klar, so formuliert es Irmgard Bauer, Vertreterin des Chores in der Findungskommission, dass Peter Stenglein der „musikalisch überzeugendere“ Kandidat sei. „Ein souveräner, offener Mann, der sehr gut weiß, wie man einen Chor leitet“, so beschreibt sie den Bewerber. 76 Stimmen derer, die den Kandidaten-Marathon mitgemacht hatten, entfielen auf Stenglein. Für Gravenhorst plädierten nur 28. Ganz ähnlich sah es das Orchester. Und auch Landeskirchen-Musikdirektor Ansgar Müller-Nanninga sprach sich für Stenglein aus. Begründung: Dieser sei eine „reife musikalische Persönlichkeit“. Eindeutig für Gravenhorst hatte sich nur Domorganist Wolfgang Baumgratz ausgesprochen. Die Pastoren und andere Nicht-Musiker in der Findungskommission schlugen sich auf die Seite der Orgel, dennoch gab es in der Findungskommission keine Mehrheit für Gravenhorst.

Im Kirchenvorstand aber sitzen noch weniger Musiker. Er entschied dann mit 17 : 4, nur Gravenhorst als Kandidaten dem Konvent vorzuschlagen. Der Konvent segnete schließlich die Entscheidung ab – immerhin bei zehn Nein-Stimmen und fünf Enthaltungen.

Die Stimmung im Chor ist seit dem Donnerstag auf dem Siedepunkt. „Im Herbst ist meine Zeit beim Domchor zu Ende“, sagen manche. Dass bei der Besetzung der Kantorenstelle das Orgelspiel entscheidend sein soll, wird als Missachtung des Chores bewertet. Schon als es um die Frage ging, ob der Vertrag für Kantor Helbich verlängert werden kann, hatten die Bauherren gegen das deutliche Votum des Chores entschieden.

Dass Geldfragen im Hintergrund stehen, wird offiziell nicht bestätigt. Allerdings sind Orgelkonzerte deutlich preiswerter als die großen Chorwerke, für die Orchester und Solisten „eingekauft“ werden müssen. Ob die Stelle des Domorganisten Wolfgang Baumgratz, wenn der in fünf Jahren in den Ruhestand geht, neu besetzt wird, wenn es einen etablierten guten Organisten schon gibt, wird man dann sehen.

Auch Chormitglieder, die für Gravenhorst votiert hatten, sind sauer. Etwa Hille Hoppensack. Sie hat einen Protest-Brief an die Domgemeinde geschrieben. Wenn der Chor im Gottesdienst singt, sei man immer voll des Lobes und freue sich über die vollere Kirche, aber seine drei Wochen Beteiligung bei der Auswahl eines neuen Kantors würden ohne Kommentar übergangen: „Wir werden als Chor nicht ernst genommen“, sagt sie. kawe