Neues Label, halber Lohn

Wenn man Nachtwachen in „Nachtbereitschaften“ umbenennt, muss man ihnen nur noch einen Bruchteil des Gehalts zahlen. So will die „Lebenshilfe“ mit den Kürzungen des Senats fertig werden

Von Christian Jakob

Halber Lohn bei gleicher Arbeitszeit – dies droht den Nachtwachen der Behinderten-WGs der „Lebenshilfe“. Eine entsprechende „Änderungskündigung“ wird von der Geschäftsführung vorbereitet. Die Nachwächter werden dabei als Einzige zur Ader gelassen. Von Kürzungen beim Lohn der anderen Beschäftigten ist bei der Lebenshilfe – zumindest derzeit – nicht die Rede.

Wie alle Träger von Wohnstätten für Behinderte muss auch die Lebenshilfe künftig mit weniger Geld auskommen: Der mit dem Senat vereinbarte Rahmenvertrag sieht eine Kürzung der Zuwendungen ab 2008 um acht Prozent vor. Die Geschäftsführung der Lebenshilfe will dies zum Teil durch drastische Einschnitte bei den Nachtwachen bestreiten. Bisher ist die nächtliche Betreuung in den acht Wohngemeinschaften als Nachtwache konzipiert. Die 23 Betreuer müssen acht bis zehn Stunden pro Nacht in den Häusern sein, schlafen dürfen sie dabei nicht.

Eben das soll sich ändern: Künftig sollen sie nur noch als „Nachtbereitschaft“ fungieren. Sie dürfen, wenn die Lage es erlaubt, im Dienst schlafen, werden möglicherweise von verzichtbaren Tätigkeiten entbunden – ihre Bezüge werden dafür jedoch radikal gekürzt.

„Eine Bedrohung der finanziellen Existenz,“ nennen das die Nachtwachen. Jetzt verdienen sie oft nicht mehr als 1.000 Euro im Monat, nach den Hauswirtschaftskräften sind sie die am niedrigsten bezahlten Angestellten. Die Betreuung der Behinderten, so sagen sie, werde unter Übermüdung und einer starken Fluktuation der Beschäftigten leiden. Im Dienst zu schlafen sei wegen der anfallenden Arbeitsbelastung kaum möglich, der wechselnde Arbeitsrhythmus mache es unmöglich, nebenbei einen zweiten Job anzunehmen.

Der aufgekommene Vorschlag, künftig an mehr Nächten im Monat zu arbeiten, stößt auf Ablehnung. „Nachtarbeit ist sowieso schon gesundheitsschädlich“, sagt der Betriebsrat. „Wenn die Kollegen jetzt ihre Arbeitszeit verdoppeln müssten, um auf das gleiche Gehalt zu kommen, geht ihre gesundheitliche Belastung ins Uferlose.“ Hinzu komme, dass sich soziale Kontakte stark reduzieren.

Die Folgen für die Arbeit in den Einrichtungen seien nicht absehbar. „Wir können uns nur schwer vorstellen, wie das umgesetzt werden soll,“ sagt die Mitarbeitervertretung. Dass andere Beschäftigtengruppen Lohnverzicht üben, und so alle nur geringe Einbußen hinnehmen müssten, sei ausgeschlossen: „Das Thema ist ausgereizt.“ Seit den 1990er Jahren habe es immer wieder Kürzungen im Sozialbereich gegeben, Stellenabbau und Arbeitsverdichtung seien die Folge gewesen. Es sei „nicht absehbar“, ob sich die Bedingungen nicht weiter verschlechterten.

In Form einer „Änderungskündigung“ sollen den Nachtwachen demnächst die neuen Bedingungen aufgezwungen werden. Verhindern kann der Betriebsrat dies nicht. Derzeit verhandelt er mit der Geschäftsführung über die Details der künftigen Arbeitsbedingungen, baut aber auf eine arbeitsgerichtliche Überprüfung der Umwidmung in „Nachtbereitschaften“.

„Veränderungen in der Struktur“, nennt dies die stellvertretende Geschäftsführerin der Lebenshilfe, Heidi Eikermann. Die Nachtbetreuung sei bisher „mit zusätzlichen Mitteln“ – was wohl heißen soll: auf Kosten der Tagesbetreuung – quersubventioniert worden. „Das können wir aber jetzt nicht mehr weitermachen“, sagt Eikermann. Die finanzielle Lage zwinge die Einrichtung dazu, neue Konzepte zu entwickeln, die nötige Betreuung sei jedoch „auf jeden Fall“ auch künftig gesichert.