Mit Scherf gegen die Lücke

Der Bürgermeister a.D. unterstützt eine Selbsthilfegruppe gegen die „ambulante Versorgungslücke“: Die Initiatorin Elsbeth Rütten war mit einem eingegipsten Bein zu Hause abgestellt worden

Von KLAUS WOLSCHNER

„Ich trete hier zum ersten Mal mit den Damen auf“, bekannte Henning Scherf gestern Nachmittag im Bremer Geschichtenhaus. Er saß da auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Elsbeth Rütten, einer engagierten Friedensfrau, die in den Jahren „seiner“ großen Koalition unzählige Male protestierend auf dem Marktplatz gestanden hat – engagiert für den Frieden, für Frauenrechte, für die PDS.

Nun gab es das berühmte Foto Arm in Arm. Rüttens neueste Initiative ist gesundheitspolitischer Art. Am Anfang ihres Engagements gegen die „ambulante Versorgungslücke“ stand eine persönliche Erfahrung: „Ich wurde nach einer Fußoperation mit einem Transporter nach Hause gebracht und dort mit dem guten Rat abgestellt, die Füße auf keinen Fall zu belasten.“ Drei Monate sollte der Heilungsprozess dauern. Was tun, wenn man allein wohnt und nicht das Geld hat, sich eine Haushaltshilfe zu leisten?

Rütten wusste sich zu helfen und will nun anderen helfen, die in der gleichen Lage sind. Sie hat auf der die Internetseite www.ambulante-versorgungsluecke.de auf das Problem aufmerksam gemacht, mit Gleichgesinnten eine Selbsthilfegruppe gegründet und eben Henning Scherf als Schirmherren gewonnen. „Türöffner“ solle er spielen, beschreibt sie seine Rolle. Sein Motiv: „Man kann diese Leute doch nicht allein lassen.“ Dass es das Problem gibt, kenne er von einigen Menschen aus seinem großen Bekanntenkreis.

Das rechtliche Problem: Krankenkassen können in solchen Fällen Haushaltshilfen finanzieren, müssen das nach dem Sozialgesetzbuch aber nur für Versicherte, „in deren Haushalt ein Kind lebt, das bei Beginn der Haushaltshilfe das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat oder das behindert und auf Hilfe angewiesen ist“.

Wer das Geld hat, kann sich privat eine Haushaltshilfe leisten. Wer auf Hartz IV angewiesen ist, bekommt die Haushaltshilfe vom Sozialamt gestellt. „Und wer einen Euro über dem Regelsatz liegt, bekommt nichts“, sagt Edeltraud Paul-Bauer von der Bremer Unabhängigen Patientenberatungsstelle in Bremen bitter: „Zwar können Krankenkassen da Hilfe leisten, sie tun es aber überwiegend nicht. Angesichts der steigenden Zahl alter, allein lebender Menschen ist das eine Fehlentwicklung, die man dringend ändern müsste.“ Abhilfe aus Berlin ist aber nicht zu erwarten. Staatssekretärin Marion Caspers-Merck vom Bundesgesundheitsministerium winkt ab: „Wir können im Moment keine Leistungsausweitung versprechen, denn die müsste ja durch den Beitragszahler finanziert werden.“ Sie verweist auf Selbst- und Nachbarschaftshilfe.

Mit dem Türöffner Scherf hat Elsbeth Rütten angefangen, mit den Kassen zu reden. „Bisher sind wir ja noch in der Schnupperphase“, räumt sie ein. Die DAK sei ganz offen gewesen und habe das Problem eingeräumt, bei der AOK habe es die freundliche Ermunterung gegeben und nur die Zusicherung, im Gespräch zu bleiben. „Die haben Angst, dass sie mehr zahlen müssen.“ Bei der AOK selbst hat man das Gespräch anders in Erinnerung. Bis vor wenigen Jahren hätten Krankenhäuser ein finanzielles Interesse gehabt, Patientinnen ein paar Page länger als notwendig auf den Stationen zu halten. Kliniken seien „Verwahranstalten“ gewesen. Das neue Abrechnungsmodell über die „DRGs“ belohnt dagegen heute die Kliniken finanziell, die Patienten möglichst früh entlassen. Ein Zurück zu dem alten System kann es also nicht geben – man habe Elsbeth Rütten gebeten, doch mit einer Liste von konkreten Fällen nachzuweisen, dass es wirklich eine Versorgungslücke gibt.

Die Kliniken haben ein „Entlassungsmanagement“ und einen Sozialdienst, der in kritischen Fällen klären muss, was aus den PatientInnen wird, wenn sie entlassen werden. Manchmal sind die hilflos angesichts der gesetzlichen Regelungen. „Diese Lücke gibt es“, sagt eine Mitarbeiterin eines Sozialdienstes, die nicht namentlich genannt werden will.

In vielen Fällen ist eine unregelmäßige Hilfe im Haushalt schon ausreichend, um einen Patienten so zu stabilisieren, dass er oder sie nach ein paar Wochen auf die Beine kommt. Es gibt aber einzelne schwerwiegendere Fälle. „Stellen sie sich vor, sie bekommen eine Chemotherapie und müssen eine Pause machen und haben niemand zu Hause“, nennt Henning Scherf ein Beispiel. Da kann auch er sich ein „PatientInnen-Hotel“ als Lösung vorstellen, möglichst nahe am Krankenhaus. Da gehe es immer um Einzelfälle, betont er, und er kann sich vorstellen, dass Krankenkassen das freiwillig finanzieren, weil es zu ihrem Image passt, „nahe bei den Patienten zu sein“.