Herrenloses Eigentum

In Bremerhaven gibt es rund 5.000 Wohnungen, die unverkäuflich sind, mehr und mehr verfallen und deren Eigentümer oft unauffindbar sind. Gleichwohl sind dem Staat meist die Hände gebunden

von Jan Zier

Es geht um gut 5.000 Wohnungen in Bremerhaven, die nicht einfach nur leer stehen, abgerissen werden müssten. Es geht um ganze Straßenzüge, die „tendenziell verslummen“, wie Bau-Staatsrat Wolfgang Golasowski es ausdrückt. Und die Stadt weiß bislang nicht so recht, was sie dagegen unternehmen soll.

Das Problem fängt damit an, dass Bremerhaven viel weniger EinwohnerInnen hat als noch vor gut 30 Jahren. 1974 zählte die Seestadt 144.554 Menschen, 2007 waren es noch 115.703. Also stehen viele Häuser leer, die erst nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden waren – vor allem in Grünhöfe und Leherheide, dazu solche aus der Gründerzeit der vorvergangenen Jahrhundertwende, vor allem in Lehe und Geestemünde. Sie verfallen zusehends. Und der Wohnungsmarkt ist zusammengebrochen. Nun bröseln die Balkone herunter, der Stahlbeton korrodiert, Fenster sind eingeworfen, Türen zerstört, Ratten eingezogen. Mancherorts sieht man kaum mehr Menschen, sagt Golasowski, der früher selbst dort wohnte.

Vor allem aber sei oft gar nicht bekannt, wem die Wohnungen heute gehören, sagt Stadtrat Volker Holm (CDU). Die gegenwärtigen Eigentümer seien „nicht greifbar“, sondern „auf der Flucht“ vor der eigenen Immobilie. Sie „kümmern sich um gar nichts mehr“, sagt Holm, „und wir werden ihrer nicht habhaft“. In der Marktwirtschaft seien herrenlose Immobilien „nicht vorgesehen“ – und rein juristisch betrachtet sind sie es ja auch nicht. Viele der Wohnungen waren in der Vergangenheit Gegenstand von Spekulationen, wurden an Kleinanleger oder dubiose Gesellschaften „verschachert“, wie Golasowski sagt.

Der Stadt, dem Land sind indes die Hände gebunden, so will es schon das Grundgesetz. Dort steht zwar auch, dass „Eigentum verpflichtet“ und sein Gebrauch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll. Doch Holm nennt das „die alte Welt“. Einer Enteignung sind enge verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt, ebenso der Idee eines möglichen Vorkaufsrechts der Kommune. Der Staat darf erst einmal nicht eingreifen, selbst wenn er die „öffentliche Ordnung“ gefährdet sieht, sondern nur dann, wenn die Sicherheit konkret bedroht ist. Dann erst darf die öffentliche Hand dort zumauern, wo bislang ein eingeschlagenes Fenster war.

Vorwürfe macht Holm aber auch den Banken. Sie spielen „eine ungnädige Rolle“, weil sie lieber an „Vermögensfiktionen“ festhielten als eingetragene Grundschulden abzuschreiben. Zugleich gibt es schon heute nirgendwo so viele Zwangsversteigerungen wie in Bremerhaven. Sie sind inzwischen für fast jeden zehnten Eigentumswechsel verantwortlich, in Dortmund oder Gelsenkirchen ist es nur jeder zwanzigste. In Bremen besteht dieses Problem kaum, unter anderem, weil hier zu Gründerzeiten anders als in Lehe und Geestemünde das „Altbremer Haus“ entstand. Zwar gibt es einzelne Schrottimmobilien wie die ehemalige Klinik in Sebaldsbrück – dort aber ist der Eigentümer bekannt.

Golasowski und Holm wollen nun das Baurecht reformieren, um schrittweise „eskalierend“ zu „nennenswerten Zwangsinstrumenten“ zu kommen, doch die Diskussion ist noch ganz am Anfang. Hoffnung ruht auf einem wiederentdeckten Paragraphen aus dem Baugesetzbuch, der erlaubt, von Amts wegen eine Art Vormund für unbekannte Eigentümer zu bestellen. Doch angewandt hat ihn bislang offenbar noch niemand. Dennoch träumt man in Bremerhaven schon davon, aus „Problemimmobilien“ so genannte „Leuchttürme“ mit mehrgenerativem Wohnen und jungen, hochqualifizierten Neu-Bremerhavenern zu machen.