Kompromisslos konventionell

Mit „Maometto II.“ schafft sich das Theater eine Folie, vor der alle anderen Produktionen brandaktuell erscheinen

Opern zeichnen sich dadurch aus, dass sie ihren Protagonisten selbst in höchster Gefahr Zeit für die ausgiebige Erörterung von allerlei Ehrpusseligkeiten lassen. In Gioacchino Rossinis „Maometto II.“, das jetzt am Goetheplatz Premiere hatte, ist es die Frage, ob die Tränen der Tochter „das Vaterland verraten“ oder nicht: Eingemauert in ein großformatiges Mamor-Schlafgemach verabschiedet sich Anna von ihrem in den Kampf ziehenden Vater.

Eine solche Vorlage schreit nach einem zupackenden Regisseur, in diesem Fall heißt dieser jedoch Michael Hampe. Und der lässt seine Figuren inszenatorisch in Bühnenbildern verhungern, die unmittelbar einem Historienfilm entlehnt zu sein scheinen. Auch die Thematik könnte den besten Zeiten des Kalten Krieges entsprungen sein, nur ein wenig in den Süden verrutscht: Sultan Maometto steht kurz vor der Eroberung von Korinth, die venezianischen Truppen somit vor der Wahl zwischen sicherer Niederlage und unblutiger Kapitulation. Nach nur kurzem Zögern entscheiden sie sich für ein markiges „lieber tot als rot“ respektive „türkisch“. Wenn die „Muselmanen“ dann mit ihren im Ventilatoren-Wind wehenden roten Fahnen einmarschieren, wundert man sich fast, dass die aufgemalten Sicheln Halbmonde sind. Der fehlende Hammer? Das sind – Achtung: übertragener Sinn – die hollywoodesken Kostüme.

Koproduktionen, mit deren Vielzahl sich das Theater seit Hans-Joachim Freys Amtsantritt gern hervor tut, haben eben auch ihre Kehrseiten: Sie sind ästhetische Kompromisse. Es mag durchaus dem Geschmack der Partner in Pesaro, wo das Rossini-Geburtsort-Festival auch touristische Zielgruppen beglücken muss, geschuldet sein, dass die Bremer Werkstätten eine derart romantisierende Kostümorgie veranstaltet haben.

Das Ergebnis ist eine Art Zinnsoldaten-Possierlichkeit. Der Chor (Tarmo Vaask) leistet dabei viel: Der rotierende Rollenwechsel, das Raus-aus-der-Rüstung und flugs den Krummsäbel gepackt, klappt so reibungslos wie die dazu gehörigen martialischen Gesänge. Die beeindruckendste Leistung gelingt dem venezianischen Doppel Erisso & Calbo: Mühe- und bruchlos gleitet Nadja Stefanoffs Stimme durch Rossinis Rutschbahn-Koloraturen, bis hinunter ins Brustregister bleibt sie ausgeglichen und voller Glanz. Stefanoff stammt aus Freys Dresdener Opernchorstudio. Und Luis Oliveras (Erisso) ist ein Beispiel für die Reise-Akquise des Intendanten, die er mit seiner wandernden „Competizione dell’Opera“ institutionalisiert hat. Oliveras hat er in Chile aufgetan, in Bremen singt er nun eine klassische – und fehlerfreie – Partie.

Damit ist den Anforderungen auch Genüge getan. Denn spielen müssen die Protagonisten in Hampes Inszenierung kaum. Mit kompromissloser Konventionalität lässt Hampe die Akteure in ihren Tableaus herum stehen, sein selbst gestecktes Ziel, als Regisseur „nicht bemerkbar“ zu sein, hat er erreicht. Also Augen zu und durch: Vor allem im fast zweistündigen 2. Akt der Oper legt Dirigent Daniel Montané beachtliche Tempi vor, die freilich mehr die SängerInnen als die Bremer Philharmoniker fordern. Rossinis simple, vornehmlich illustrative Musik ist auch in dem Sinne effizient, dass sie den SängerInnen reichlich Raum für perlende Hochgeschwindigkeits-Dramatik lässt: Wenn der noch nicht allzu voluminöse Sopran von Anna Pegova – Erissos zwischen Sultans- und Vaterliebe zerrissene Tochter – nur von zarten Pizzicati begleitet wird, entsteht Belcanto at it’s best.

Rossinis alter Trick, selbst Trauer und Drama in beschwingte Dreier-Metren zu packen, verfehlt auch in Bremen nicht seine Wirkung: Das Publikum liebt es, quasi „im Walzer“ durch Gefahr und Nöte geführt zu werden, einen Blick ins Haremszelt zu erhaschen und sich an einer Mischung aus Schwertgeschepper und schönen Stimmen zu erfreuen. Dass Hampe schon unter Hübner in Bremen aktiv war, verschleiert er höchst erfolgreich – aber das kann sein Gutes haben: Auf der Folie dieses „Maometto“ müssen alle sonstigen Produktionen der Saison brandaktuell erscheinen. H. Bleyl