Großer Eintopf Bourgeoisie

HIPPEN EMPFIEHLT: „Affären à la Carte“ von Daniéle Thomson ist eine von diesen Boulevardkomödien, wie sie wohl nur die Franzosen hinkriegen

Was wäre der französische Film ohne seine Bourgeoisie? Den späten Buñuel und den gesamten Chabrol würde es nicht geben

VON WILFRIED HIPPEN

„Le code a change“ lautet der Originaltitel dieser Komödie, und wer je in Frankreich privat eingeladen wurde, versteht das Wortspiel. Denn dort ist die Concierge längst durch die inzwischen ähnlich allgegenwärtigen elektronischen Türöffner ersetzt worden, und neben der Adresse wird dem Gast auch der Zahlencode verraten. Aber „Der Code hat sich geändert“ bedeutet auch, dass die Verhältnisse sich weiterentwickelt haben, die glückliche Ehepartner von einst sich gegenseitig betrügen, die Karrieren erblühen oder verwelken, die Gesunden krank und manchmal sogar die Kranken gesund werden.

So steht der Titel auch für die dramaturgische Methode der Drehbuchschreiberin und Regisseurin Daniéle Thompson, die sich auf jenes Genre spezialisiert hat, das die Franzosen so gut beherrschen: den so genannten „Boulevard mit Tiefgang“, bei dem die Pointen immer mit ein wenig Nachdenklichkeit garniert werden. In der Musik entspricht dieser Stil dem Chanson, das ja auch etwas ganz anderes ist als der deutsche Schlager oder der angelsächsische Popsong. In „Affären à la Carte“ steht ein Dinner im Mittelpunkt, das ein typisches Paar des gehobenen Mittelstands für ein paar Freunde und Bekannte gibt. Was wäre der französische Film ohne seine Bourgeoisie? Den späten Buñuel und den gesamten Chabrol würde es nicht geben und Filmemacher wie Sautet hätten nichts zu erzählen gehabt. Am Tisch des natürlich sehr kultivierten Hauses treffen sich ein Krebsarzt und ein Richter, eine Buchautorin und eine Gynäkologin, eine Anwältin und eine Flamencolehrerin. Aber die ist schon fast zu plebejisch – genau wie der Innenarchitekt, der die neue Küche eingebaut hat, und über den die Gastgeberin abfällig bemerkt, er wäre doch „ein ganz anderes Genre“. Der arme Jean-Louis bleibt dann auch ein schüchterner Außenseiter, zu dem der Regisseurin nichts rechtes einfallen will – er sitzt sozusagen am dramaturgischen Katzentisch. Auf den guten Plätzen der Tafel geht es dagegen zu Sache. Thompson ist ganz in ihrem Element, wenn sie die Rededuelle, Streitigkeiten und intimen Geständnisse der Gäste inszeniert. Amüsant ist dabei die Gastgeberin ML, die mit einer scharfen Zunge alles und jeden runtermacht und dabei ihre eigene Affäre mit jener zynischen Finesse betreibt, die in Frankreich ja auch eine reiche Tradition hat. Ihr geplagter Ehemann Piotr müsste einem leid tun, wenn er nicht von dem Komödianten Dany Boon gespielt würde, der bei „Willkommen bei den Sch’tis“ nicht nur die Hauptrolle spielte, sondern auch Regie führte. Dieser gibt den polnischen Hausmann so gutmütig und unglücksresistent, dass man nie ganz durchschaut, ob er naiv oder der Schlauste von allen ist. Daniéle Thomson ist schlau, wenn sie solche Geheimnisse am Ende des Films nicht auflöst. Und immer wenn der Film am großen Tisch mit seinen Gästen bleibt, ist er ein Genuss. Leider bewahrt sie aber nicht diese Einheit von Raum und Zeit, sondern springt nach zwei Dritteln des Films zu einem zweiten Essen, das genau ein Jahr später geplant wird und bei dem der Zuschauer erfahren soll, was aus all den Ehen in der Krise, beruflichen Scheidewegen und Krankheiten geworden ist. Hier wird der Film unnötig kompliziert, aus der Zeitebene „ein Jahr später“ wird in Rückblenden dann doch wieder zum ursprünglichen Dinner gesprungen und man bekommt schnell das Gefühl, hier müssten unbedingt alle losen Fäden zusammengeknüpft werden. Schön wieder die Schlusspointe im Abspann, bei der sich die Regisseurin bei Roman Polanski für sein Rezept der Bigos bedankt, die Piotr für den Abend kocht. Diese ist ein deftiger, polnischer Eintopf.