Im Schatten zweier Männer

REVOLUTION Die Sozialistin Lotte Kornfeld, vergessene Vorkämpferin der Bremer Räterepublik an der Seite Johann Kniefs, wurde jetzt mit einer Biographie geehrt

Lotte Kornfeld war eine jener Frauen, die anderen den Rücken frei hielt

VON JAN ZIER

In des Schwarzwälders’ großem Bremen-Lexikon kommt sie nicht vor. Eines eigenen Eintrages wurde sie dort nicht für würdig erachtet. Und auch Wolfgang Beutin, der vor wenigen Jahren einen historischen Roman schrieb – immerhin aus ihrer Perspektive – wusste nichts über sie zu sagen: Von ihr, sagte er im Interview, „weiß man nicht viel mehr als ihren Namen“: Lotte Kornfeld (1896 – 1974).

Das mag an jenen beiden liegen, in deren Schatten sie bis heute steht, mit denen sie liiert war, und die in der Geschichtsschreibung bis heute als namhafte Kommunisten gelten. Vor allem aber: Waren es eben Männer. Und zwar Johann Knief, „Volksbeauftragter“, vulgo: Führer der Bremer Räterepublik. Und Karl Radek, neben Lenin und Trotzki ein führender Bolschewiki der russischen Revolution. Unter Stalin fiel er später in Ungnade und wurde schließlich in dessen Auftrag ermordet.

In Radeks Erinnerungen wie Biographien taucht Lotte Kornfeld nicht auf. Der Mannheimer Historiker Hermann Weber lobt sie gleichwohl als eine der „starken Frauen“ des 20. Jahrhunderts. Karin Kuckuk hat ihr eine Biographie gewidmet, die jetzt – inklusive eines Radek gewidmeten Briefromans – im Donat Verlag erschienen ist, die „Biographie einer Vergessenen“, wie es im Untertitel von „Im Schatten der Revolution“ heißt.

Die Politische Polizei immerhin stufte sie schon vor dem ersten Weltkrieg als „gefährlich“ ein. Und observierte sie, über viele Jahre hinweg. Zumindest darin könnte man eine Art frühe Anerkennung ihrer politischen Arbeit sehen. Die hatte schon im Landerziehungsheim Birkenwerder begonnen, ein frühes Pendant zur alten Paukschule. Geleitet wurde sie von Frida Winckelmann, einer Reformpädagogin, die in der Weimarer Republik für die KPD im Landtag saß, später im Konzentrationslager landete, heute ebenfalls vergessen ist. Und die seinerzeit eine gute Freundin von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht war.

Kornfeld war von 1911 bis 1914 im sozialistisch inspirierten Birkenwerder wohl schon pädagogisch aktiv, politisierte daneben mit Karl Radek, den sie dort kennen gelernt hatte. Zugleich lebte sie im Gegensatz zu ihren großbürgerlichen Wurzeln: Ihr früh verstorbener Vater war Architekt, ein „assimilierter“ Jude, zugleich Besitzer von ein oder zwei Mietskasernen. Die Mutter stammte aus einer offenbar gut betuchten Familie, die Lotte Kornfeld ein Erbe hinterließ, von dem sie lange Jahre leben sollte.

Ihr Bruder starb – weil er den Freitod einer Rückkehr in den 1. Weltkrieg vorzog. Er wurde ihr „Held des Lebens“. Schon bald schätzte die Polizei auch Kornfeld als „radikal“ ein, da sie sich mit allerlei „sozialdemokratischen Führern traf“. 1917 wurde sie in Bremen Geschäftsführerin der linksradikalen Zeitschrift „Arbeiterpolitik“, für die auch Johann Knief schrieb. Als großbürgerliche Erbin war sie bei den Vertretern der Arbeiterklasse allerdings nicht uneingeschränkt akzeptiert. Zugleich sicherten ihre Kontakte aber die Finanzierung der „Arbeiterpolitik“. Auch ihre Beziehung zu Knief betrachteten einige Genossen offenbar missgünstig – während für sie Sozialismus stets „mehr“ war als nur eine politische Anschauung, wie sie anlässlich ihrer Flucht 1917 schrieb.

Im Jahr darauf wurden beide in München festgenommen und verbrachten neun Monate in Schutzhaft, ehe sie Ende 1918 nach Bremen zurückkehrten, wo die revolutionären Bestrebungen bereits im vollen Gange waren. Bereits nach wenigen Tagen legten beide die neue Tageszeitung „Der Kommunist“ auf, und nicht nur Revolutionsführer Knief, auch Lotte Kornfeld schrieb für sie, unter anderem über die „Entwicklungslinien“ und Zukunftsaussichten der Revolution.

Doch ihre Einschätzung erwies sich bald als zu optimistisch: „Ich glaube nicht mehr, dass diese Bewegung so ungeheuer revolutionärer Massen im ganzen Reich noch zurückgeworfen werden kann“, schrieb sie im Januar 1919. Drei Wochen später war die Bremer Räterepublik niedergeschlagen, drei Monate später starb Knief. Und doch hätte er, schreibt Kuckuck, als „Held der Revolution“, zeitlebens „wenig ausrichten“ können – ohne eine Helferin wie Kornfeld. „Bekanntlich sind es stets die Frauen, die großen Männern den Rücken frei halten. Lotte Kornfeld war eine von ihnen“.

Nach Kniefs Tod lebte sie bis 1921 auf dem Barkenhoff in Worpswede, einer, so der Künstler Heinrich Vogeler, „kommunistischen Insel im kapitalistischen Staat“, einer Art Arbeitskommune, die später auch eine Schule beherbergte. Kornfeld ließ sich am Rande des Geländes nieder, gründete eine eigene kleine Kommune, trat der KPD bei, gab ein Buch mit Briefen Kniefs heraus. 1935 emigrierte sie, mit neuem Mann, zunächst nach Italien, später in die USA, wo sie 1974 starb.

Dem Marxismus hatte Lotte Kornfeld da lange entsagt. Eine „Riesen-Absurdität“ sei der, sagte sie, vier Jahre vor ihrem Tod.

Karin Kuckuk, Im Schatten der Revolution, 180 Seiten, Donat Verlag, 12,80 Euro.