„Rüge war nicht personifiziert“

THEATER Die zweite Spielzeit von Hans-Joachim Frey als Chef am Goetheplatz geht mit einem Liquiditätsvorgriff von 3,3 Millionen Euro zu Ende. Ein Gespräch über „Details“

■ war Direktor der Dresdner Semperoper, bevor ihn Kultursenator Jörg Kastendiek (CDU) 2007 als Generalintendant an den Goetheplatz holte. Frey studierte in Hamburg Musiktheaterregie und Kulturmanagement. Fotos: Jan Zier

Interview: Henning Bleyl

taz: Herr Frey, Ihre Beliebtheit im eigenen Haus und in der Kulturszene im Allgemeinen ist nicht eben überschwänglich, eigentlich tendiert sie gegen Null. Können Sie das verstehen?

Hans-Joachim Frey: Ich habe mir bisher originär nie die Frage nach meiner Beliebtheit gestellt. Abgesehen davon nehme ich dies aber auch anders wahr und erlebe sehr viel Rückendeckung und Unterstützung.

Wenn das Wirtschaftsressort die Marketingmittel für „Marie Antoinette“ kurzfristig von 600.00 Euro auf eine gute Million aufrundet, kann man in der Tat von Unterstützung sprechen. Aber für ein Theater wie die Shakespeare Company bedeutet allein das Musical-Defizit von 1,5 Millionen fast einen doppelten Jahreszuschuss.

Ganz viele in Bremen haben dieses Projekt gewollt. Ich habe „Marie Antoinette“ aus Überzeugung gemacht, auch, weil ich bei Amtsantritt von der Stadt und vielen Partnern darum gebeten wurde, zusätzliche Projekte zu generieren. Es hat mich allerdings entsetzt, dass in den Medien schon drei Wochen nach der Premiere spekuliert wurde, ob genügend Zuschauer kommen. Zudem muss man sagen, dass wir mit der Rezession großes Pech hatten: Die Premiere ist da direkt hinein geschlittert, viele gebuchte Kartenkontingente wurden nicht abgerufen. Mir tut es auch sehr leid für Bremen und die Mitarbeiter des Theaters, dass dieses Projekt finanziell nicht zum Erfolg geführt hat.

Dem 1,5 Millionen-Defizit stehen 1,16 Millionen Euro gegenüber, die durch kurzfristige Kostensteigerungen entstanden sind – bleiben für die Wirtschaftskrise höchstens 340.000 Euro als Erklärung.

Ich möchte jetzt nicht auf Zahlenspiele eingehen. Wir haben uns erfolgreich um weitere Sponsoren-Mittel bemüht, fast bis zu einer Million: Damit konnten wir einen großen Teil der Kostensteigerung ausgleichen.

Die hätte man auch gut dafür verwenden können, das ohnehin angefallene Defizit zu kompensieren. Nochmal zu den Steigerungen: 360.000 Euro für eine nicht eingeplante Verstärkeranlage, ein mit 350.000 Euro fast verdoppelter Ausstattungsetat, außerdem haben sich die Ausgaben für Bühnentechniker, Maskenbildner und Garderobieren auf 700.000 Euro verzehnfacht. Rechnerisch wurden drei Viertel des Defizits durch nicht geplante Mehrausgaben erwirtschaftet. Als Produzent des Musicals sind Sie dafür doch verantwortlich.

Es ist richtig, ich war der Produzent und hatte daneben eine Projektleitung und eine kaufmännische Seite, die für das Controlling verantwortlich waren. Lassen sie uns aber nicht in Details und Vorwürfe verfallen. Es gab unvorhersehbare, nicht verhinderbare Kostensteigerungen, wie durch den Wechsel des Bühnenbildteams. Es kamen viele kurzfristige Forderungen auf uns zu, insbesondere durch die Ansprüche der japanischen Lizenzinhaber und der beiden Autoren.

Bei der Genehmigung des Musicals durch den Theater-Aufsichtsrat war von einer privaten Ausfallbürgschaft von 500.000 Euro die Rede. Wie steht es damit?

Es gab ganz ursprünglich eine solche Ausfallsbürgschaft. Über die Höhe und den aktuellen Stand der Dinge möchte ich mich nicht äußern.

Und was machen die oft geäußerten Hoffnungen auf eine Zweitverwertung in Korea?

Wir sind mitten in den Verhandlungen, aber Korea ist nicht ganz allein entscheidend. Wichtig ist auch das Interesse, das Wien und München angemeldet haben.

Kommen wir zum normalen Spielzeitgeschäft: Sie haben nach zwei Jahren ein Defizit von 3,3 Millionen Euro, „Marie Antoinette“ inklusive. Das ist ein deutlich schlechterer Schnitt als die fünf Millionen, die bei Herrn Pierwoß zwischen 1997 und 2005 kumulierten.

Die 3,3 Millionen Euro sind kein reines Defizit, es handelt sich um die Höhe des genehmigten Liquiditätsvorgriffs. Wir hatten die Kosten des Intendantenwechsels, Abfindungen, erhöhte Energiepreise und Tarifsteigerungen. Zudem wurde der Marketing-Etat überschritten, was sich aber auch in steigenden Zuschauerzahlen und zusätzlichen Einnahmen ausgewirkt hat.

Warum haben Sie den Aufsichtsrat verspätet über die Probleme informiert? Dass der eine öffentliche Rüge ausspricht, ist nicht alltäglich.

Über vieles wurde sehr rechtzeitig informiert, von anderen Dingen war auch ich überrascht und habe sie innerhalb des Hauses auch erst sehr spät erfahren dürfen. Die so genannte Rüge war nicht personifiziert, sie betraf die gesamte Geschäftsführung. Gleichzeitig habe ich auch wieder Rückendeckung bekommen.

Bei einem normalen Arbeitnehmer entspräche der Vorgang einer Abmahnung als Vorstufe zur Kündigung. In Ihrem Fall will die Kulturdeputation die „Controllingfunktion stärken“ und die „Unterschriftenregelung“ zu Gunsten der kaufmännischen Geschäftsführung überarbeiten.

Grundsätzlich ist jeder Schritt unterstützenswert, der die Controllingmechanismen in unserem Haus stärkt.

Vielleicht setzen Sie auf zu opulente Ausstattungen und zu viele Promis? Wenn Frau Wagner fünfmal das „Rienzi“-Bühnenbild geändert haben will, muss man als Intendant doch irgendwann Njet sagen.

Ich betone, dass wir alle Produktions-Etats voll eingehalten haben, auch den von Frau Wagner. Grundsätzlich sind wir in der Situation, den Spagat zwischen höchsten Ansprüchen und geringer Ausstattung schaffen zu müssen. Unser Zuschuss entspricht eher einer Größenordnung wie Osnabrück oder Münster, in der künstlerischen Position vergleichbare Stadttheater wie Mannheim, Hannover oder Karlsruhe bekommen elf bis 13 Millionen Euro mehr im Jahr.

Zeigt sich nicht, dass das Setzen auf Gäste letztlich teurer kommt als klassischer Ensemble-Betrieb? Wenn man sechs Königinnen der Nacht braucht, erzeugt das Mehrarbeit und On top-Kosten für Reisen, Unterkunft und Kostüme.

Ich habe nur vier Königinnen gezählt. Und die waren auch wegen der großen Nachfrage nach der „Zauberflöte“ erforderlich. Wir konnten wesentlich mehr Vorstellungen ansetzen.

Und die Unterschiedlichkeit der Darstellerinnen? Wenn sogar der Generalmusikdirektor die wechselhafte Qualität beklagt, ist das doch ein Problem.

Das bezog sich auf den speziellen Fall einer jungen Kollegin aus dem Opernstudio. Grundsätzlich muss man sehen, dass Häuser wie Karlsruhe, Mannheim oder Hannover sehr viel mehr Gäste beschäftigen. Es ist durchaus nicht so, dass bei uns bei der Premiere Stars singen und anschließend ein Qualitätsabfall zu verzeichnen wäre. Wir bemühen uns bei jeder Aufführung, dem Publikum eine gute Mischung aus den verschiedenen Besetzungen zu bieten.

Sie haben eine abgeschwächte Form von Semi-Staggione eingeführt, also die zeitliche Konzentration der Aufführungen eines Stückes. Bewährt sich das aus Ihrer Sicht?

Ja. Wir schaffen damit gut kommunizierbare Sachverhalte, mit denen wir potentielle Besucher leichter ansprechen können. Das müssen wir tun, weil der Kreis traditioneller Theaterfans, die die ganze Spielzeit über die Auswahl aus dem gesamten Repertoires haben wollen, ständig schrumpft. In Bremen gibt es ohnehin einen unglaublich kleinen Abonnenten-Stamm. Stuttgart zum Beispiel hat 15 bis 20.000 Abos, hier konnten wir sie mühsam auf etwa 5.000 steigern. Nach wie vor muss ich um jeden Zuschauer kämpfen, ihn sozusagen mit der Schubkarre ins Theater fahren. Aber mit „Gegen die Wand“ haben wir jetzt auch ein migrantisches Publikum erreicht.

Inhaltlich führt das en bloc-Prinzip dazu, dass man eine hervorragende „Petra von Kant“ absetzt, obwohl sie sehr gut läuft.

Das ist ein schlechtes Beispiel. Wir können es uns im Brauhauskeller einfach nicht leisten, zwischendurch die Bühnenbilder zu wechseln. Und dort war nach „Petra von Kant“ die sehr gelungene Eigenproduktion unsere Tänzer eingeplant, „Métrocadence“. Grundsätzlich zeigt sich, dass das Musiktheater im Goetheplatz en bloc sehr gut akzeptiert ist. Im Schauspielhaus werden wir zukünftig mit der Schauspiel- und Tanzsparte wieder verstärkt Repertoire spielen.

Wie soll es jetzt insgesamt weitergehen? Das Theater und vor allem dessen Mitarbeiter schleppen eine 3,3 Millionen-Hypothek mit sich herum.

Natürlich müssen wir bei künftigen Produktionen abspecken und unseren Beitrag leisten. In den nächsten Monaten verhandeln wir mit der Stadt über einen Konsolidierungsvertrag, der unsere Finanzen bis 2014 regelt.

Betrifft Sie das dann noch?

Warum nicht? Ich werde mich stark einsetzen für das Wohl und die Zukunft des Theaters.