„Ein radikaler Wechsel“

BERATUNG Informationstag für Eltern von geistig behinderten Kindern, die selbständig werden

■ ist bei der Inneren Mission Leiter für Betreutes Wohnen und des Projekts „LebensArt“

taz: Herr Schwarzmann, die Abnabelung von den Eltern ist für Jugendliche ein bedeutender Prozess. Inwieweit gelingt das bei Menschen mit einer geistigen Behinderung?

Harald Schwarzmann: Bei Kindern ohne Behinderung beginnt dieser Prozess bereits, wenn sie den Weg zum Kindergarten oder zur Schule selbst beschreiten. In vielen kleinen Etappen schreitet die Entwicklung fort, bis sie schließlich das Elternhaus verlassen. Eltern von Kindern mit geistiger Behinderung erleben einen radikalen Wechsel. Durch die ständige Betreuung entsteht eine viel intensivere Bindung. Wenn ihre Kinder in Wohngruppen gehen oder alleine wohnen können, ist das ein richtiger Schnitt.

Aber andererseits auch eine gute Hilfe für die Eltern.

Ich denke, es ist eine Erleichterung für die Eltern. Diese kann so empfunden werden oder auch nicht. Es ist auch eine wahre Herausforderung für die Eltern, ihr Leben nach der Fürsorge zu gestalten. Daraus kann sich eine Leere entwickeln, die sie dann mit mehr Sorgen füllen, als sie sich machen müssten.

Welche Probleme kann Überfürsorge mit sich bringen?

Es kann zu einer Konkurrenz zwischen der Einrichtung, die ihre Kinder betreut, und den Eltern führen. Dadurch entsteht eine große Spannung, da die Eltern stets meinen, besser zu wissen, was gut für ihr Kind sei. Wenn es dann zu Konflikten zwischen Eltern und jungem Erwachsenen während des Abnabelungsprozesses kommt, kann das die weitere Entwicklung beeinflussen.

INTERVIEW: KRISTIN BÖHMER

Beratungsstelle LebensArt, Wachmannstraße 7, 11 bis 16 Uhr