Tasso in der Schoßhund-Hölle

DICHTER Goethe am Goetheplatz: Theater brilliert auch ohne echte Premiere mit einem Klassiker

Der Fürst liebt Poesie und ruft Tasso so, dass auch Hund Hasso gemeint sein könnte

Fahl glimmt Antonios erschöpftes Gesicht im grünen Blitz des Kopierers. „Torquato Tasso“ ist zu Ende, die Erkenntnis gewonnen: „Die Menschen kennen sich einander nicht, nur die Galeerensklaven kennen sich, die eng an eine Bank geschmiedet keuchen.“ Zu Beginn dieser überzeugenden Regiearbeit von Nora Somaini waren „die da unten“ noch die anderen: Bootsflüchtlinge und Straßenverkäufer, die mit Hofdichter Tasso oder Staatssekretär Antonio nichts gemein zu haben schienen.

Die zweite Erkenntnis: Der Ausfall von Technik muss kein Desaster sein. Dramaturg Marcel Klett degradierte die Premiere zur Vorabaufführung, da die Schnürzüge blockierten. Aber wäre das „Zimmer“ tatsächlich interessanter gewesen, stünde es auf dem Bühnenboden, statt drei Meter höher in der Luft zu baumeln? Nein, denn diese Inszenierung lebt nicht von Sperrholzwänden, sondern von großartigen Schauspielern.

Martin Baum als Alfons der Zweite ist eine Idealbesetzung: Jede Faser Fürst, mit mühelosem Metall in der Stimme und einer Jovialität am Leib, deren Liebenswürdigkeit die finale Latte auf die Klassenschranke legt. Der Fürst liebt Poesie und ruft „Tasso“ so, dass es auch „Hasso“ heißen könnte: Der Dichter als Schoßhund, als Nice-to-have der Herrschenden.

Das Problem dieser Interpretation besteht darin, dass sie die Statik des Stücks stört: Geist und Macht, so wollte es Goethe sehen, stehen sich in Tasso und Antonio ebenso unversöhnlich wie gleichrangig gegenüber – ein zum Hipster-Autor veralberter Tasso, der unaufhörlich den eigenen Bauchnabel mit Bedeutung auflädt, macht dem versierten Staatssekretär (Antonio Swoboda) den Kampf um die Fürstengunst zunächst zu leicht. Dann jedoch gewinnt Tasso (Thomas Hatzmann) an Format: Umgeschminkt zum Psycho-Krieger, von Wahnsinn umweht, attackiert er in ohnmächtiger Wut seine Umgebung – die daraus wiederum Nutzen zieht: Die Prinzessin (Varia Sjöström) fängt Tassos existenzielle Ekstase per Fotoapparat ein, der Fürst, jetzt eine Mischung aus Medici und Monegasse, die Porschebrille fügt eine Prise Ernst August von Hannover hinzu, erkennt die Vorteile der Medialisierung und schickt Antonio zum Kopierer –Tassos Werk wird Ware.

Einen Triumph feiert das gebeutelte Bühnenbild dann doch: Die Idee, aus Tassos Dichter-Lorbeer ein ganzes Gewächshaus zu machen, das sich über ihn senkt, funktioniert tadellos – technisch und ästhetisch. Zumal sich der hängende Garten in eine beeindruckend düstere Dichterhölle verwandelt.

Henning
Bleyl