Die Krone aus Polen

Im Internet finden sich Zahnärzte in Ungarn, Polen, Tschechien, Kroatien und Litauen. Die Wahl fiel auf Warschau: Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt, warten muss man nicht – und den Kulturpalast kann man sich auch noch ansehen

Nach einer Umfrage des Instituts für Demoskopie in Allensbach 2008 käme es nur für 20 Prozent der Befragten infrage, eine Zahnbehandlung im Ausland durchführen zu lassen. Die Techniker Krankenkasse verzeichnete im Zeitraum von April bis Dezember 2007 535 derartige Fälle – bei 6,3 Millionen Versicherten und monatlich 50.000 Anträgen auf eine Zahnbehandlung. 131 Patienten, und damit die meisten, ließen sich in Polen behandeln. Die AOK Brandenburg bietet ihren Versicherten die Möglichkeit an, sich über einen polnischen Vertragspartner in grenznahen polnischen Zahnarztpraxen kostengünstiger als in Deutschland behandeln zu lassen. Nach Angaben der Pressestelle haben seit 2005 mehr als 600 Brandenburger von diesem Angebot Gebrauch gemacht, was 5 Prozent aller Behandlungen entspricht.

Agenturen für Polen:

IQ-Medica in Warszawa/Warschau: www.iqmedica.com

Euromeditraval in Wrocław/Breslau: www.euromeditravel.com

Godenta in Gdańsk/Danzig: www.godenta.de

Haas-Zahnklinik in Szczeczin/Stettin: www.hahs-dental.de

Allgemeine Vermittlung zum Zahntourismus: www.simply-dental.de/sd; www.treatmentabroad.net/cosmetic-dentistry-abroad/poland/clinics; www.zahnarzt-planet.com

Angebote innerhalb der neuen EU-Beitrittsländer gibt es unter zahnarzt-im-ausland.de.

Literatur zum Thema:

Horst Jahns: „Reiseziel Zahnersatz“, Bielefeld 2005

VON GABRIELE LESSER

Anflug auf Warschau. In einer Stunde soll ich dort schon auf einem Zahnarztstuhl sitzen. Erstaunlicherweise bin ich völlig ruhig. Dr. Tomasz Foik ist ein Spezialist für ästhetische Prothetik. Er soll eine Kapazität sein und viele ausländische Patienten behandeln. Mehr weiß ich nicht. „Wird schon gut gehen“, denke ich mir, prüfe, ob ich den Zettel mit allen Informationen der Medizin-Agentur IQ-Medica griffbereit habe und sehe ein letztes Mal aus dem Fenster: Tief unter mir liegt Polens Hauptstadt.

„Wir treffen uns auf Terminal II“, hatte Włodzimierz Wolszczak in seiner E-Mail geschrieben. Er wird mein Betreuer während des gesamten Aufenthaltes in Warschau sein. „Ich werde ein IQ-Medica-Logo hochhalten, so dass Sie mich gleich erkennen können.“ Doch wer am Dienstag kurz nach elf nicht in der Ankunftshalle des Frederic-Chopin-Flughafens steht, ist mein Betreuer. Ich mache auf alle Männer ein paar Schritte zu, die ein Schild hochhalten: „Michelin“ steht auf einem, „Hewlett Packard“ auf einem anderen, irgendwelche japanische Hieroglyphen auf einem dritten. Ich ziehe den Zettel aus der Tasche und angle nach meinem Handy. Bevor ich die polnische Nummer zu Ende eintippen kann, klingelt es aber auch schon: „Włodek Wolszczak hier. Verzeihen Sie bitte die Verspätung“, bedauert mein Betreuer in perfektem Deutsch. „Ich stecke in einem Stau fest. Aber in spätestens einer Viertelstunde müsste ich da sein.“ Ich atme auf. Alles geht seinen Gang.

Von preisgünstigen Zahnbehandlungen im Ausland hatte ich schon öfter gehört, im Fernsehen Bilder von modern ausgestatteten Praxen und zufriedenen Patienten gesehen, in Zeitungen aber auch Berichte über mangelnde Qualität und Komplikationen nach der Rückreise gelesen. Tatsächlich schien mir das Hauptproblem zu sein, einen guten Zahnarzt zu finden. Wenn mir das schon zu Hause nicht gelang, wie dann erst im Ausland? Dazu die Sprachbarriere. Ich verwarf den Gedanken. Bis ich eines Tages wieder einmal in einem Wartezimmer saß und eine geschlagene Stunde darauf wartete, endlich behandelt zu werden. Das gab den Ausschlag.

Im Internet fand ich nicht nur hunderte von Zahnärzten in Ungarn, Polen, Tschechien, Kroatien und Litauen, sondern auch Reise-Agenturen, die sich auf Medizin-Tourismus spezialisierten. Das war die Lösung! Eine Agentur! Agenturen können nur dann erfolgreich sein, wenn Sie mit guten Ärzten zusammenarbeiten. Sonst ist ihr Ruf schnell ruiniert und das Geschäft auch. Ich schickte also eine Mail an mehrere Agenturen, schilderte meine Wünsche: Austausch von vier Inlays, Unterbringung in einem Mittelklassehotel und ein Arzt, mit dem ich Deutsch oder Englisch sprechen könnte. Schon am nächsten Tag meldete sich IQ-Medica aus Warschau zurück – in Deutsch und mit allen gewünschten Informationen.

„Hatten Sie einen guten Flug?“, begrüßt mich mein Betreuer mit dem unaussprechlichen Namen Włodzimierz Wolszczak. „Nennen Sie mich einfach Wlodek,“ grinst er. „Das ist die Kurzform meines Vornamens. Pan Włodek oder Herr Włodek.“ Er verstaut meinen Trolley im Kofferraum. „Als Erstes machen wir eine Panoramaaufnahme von Ihren Zähnen, fahren dann in die Praxis zu Dr. Foik und danach bringe ich Sie in Ihr Hotel und zeige Ihnen noch ein paar Geschäfte in der Nähe. Ist Ihnen das recht?“ Ich nicke. Die Termine sind vereinbart. Für das Röntgenbild zahle ich 17 Euro.

Anders als erwartet, arbeitet Dr. Tomasz Foik nicht in einer Zahnklinik, sondern in seiner eigenen Praxis. „Forget about the inlays“, sagt der Mittdreißiger, nachdem er das Panoramabild mit meinen Zähnen verglichen und der Assistentin in Polnisch die Diagnose diktiert hat. „Das können wir später machen“, erklärt er mir wieder in Englisch. „Viel wichtiger ist die Entzündung unter dieser Krone im Unterkiefer. Die hat schon Ihren Knochen angegriffen.“ Ich schaue den Arzt perplex an. Das ist mein Problemzahn. In den letzten zehn Jahren habe ich schon vier Wurzelbehandlungen über mich ergehen lassen müssen. Nun also eine fünfte Krone? Ich bin skeptisch. „Der Zahn tut gerade nicht weh“, wende ich ein. Dr. Foik zuckt mit den Schultern. „Es ist Ihre Entscheidung.“ Er hält mir das Panoramabild vor Augen. „Knochen sind weiß. Da wo es schwarz ist, ist kein Knochen mehr. Was sehen Sie unter diesem Zahn?“ Ein schwarzes Loch. Ich bin überzeugt. Statt Inlays also Krone. Die nächsten Termine sind morgen – professionelle Reinigung, danach Wurzelbehandlung, übermorgen – erneute Wurzelbehandlung, Kieferabdruck und Sockelaufbau für die Krone. Danach erst wieder in zehn Tagen – an den Osterfeiertagen sind alles Labors geschlossen. Das bedeutet, dass ich in zwei Tagen zurückfliege und in zehn Tagen schon wieder nach Warschau kommen muss. „In Ordnung“, sage ich. „Können wir beim nächsten Mal den ganzen Rest erledigen?“ Er nickt: „Bringen Sie drei, vier Tage Zeit mit. Dann wird alles fertig.“

Im Wartezimmer sitzt Anne H. aus England. Die Naturwissenschaftlerin ist knapp 50 Jahre alt, hat schwarze lange Haare und sieht gut aus – bis sie den Mund aufmacht: Außer den Schneidezähnen sind nur noch ein paar Stummel im Unterkiefer zu sehen. „Englische Zahnärzte“, sagt sie bitter. „Das ist ihr Werk! Ich lasse jetzt hier alles neu machen. Implantate und eine Prothese.“ Sie holt ein Foto aus der Tasche. Darauf ist sie zu sehen. Mit gequältem Lächeln und Zähnen, die in wildem Auf und Ab nebeneinanderstehen. „Das sollte natürlich aussehen, meinte mein Zahnarzt in Birmingham. Gott sei Dank hielt die Prothese nur zwei Monate. Aber ganz ohne Zähne – das ist entsetzlich!“ In Polen ist sie nun schon zum dritten Mal. In den nächsten sechs Monaten wird sie noch einige Male kommen müssen, bis die Implantate eingewachsen sind und die Prothese halten können.

„Forget about the inlays“, sagt der Arzt, als er das Panoramabild sieht

Die meisten Patienten von IQ-Medica sind Engländer. Im Behandlungszimmer von Dr. Foik hängt ein großer Artikel aus der Londoner Daily Mail mit Fotos von ihm und seinem dankbaren Patienten Mark Porter. Wie er fand auch Anne H. die Agentur IQ-Medica übers Internet. „Freunde, die schon vor mir in Polen waren, haben mir den Tipp gegeben. Und seit es die Billigflieger gibt, ist die Entfernung ja auch kein Problem mehr. Zwei Stunden, und ich bin da“.

Pan Włodek bringt mich ins Hotel. Ich habe mir aus der Agentur-Liste das Apartmenthaus Zgoda ausgesucht. Es liegt mitten im Zentrum Warschaus, nicht weit von der Praxis und nur einen Katzensprung vom Warschauer Kulturpalast entfernt. Sollte ich nach der Behandlung am Abend niemanden sehen wollen, könnte ich mir in der kleinen Küche selbst etwas zubereiten. Sollte es mir gut gehen, könnte ich von hier aus leicht ein Restaurant finden und auch gleich die Stadt ein bisschen erkunden. Wie sich später zeigt, war das genau die richtige Wahl.

Auf dem Rückflug drei Tage später mache ich Bilanz: Röntgenaufnahme, professionelle Reinigung, Wurzelbehandlung und Procera-Keramik-Krone kosten zusammen knapp 925 Euro, dazu zwei Übernachtungen à 69 Euro, der Flug 165 Euro, Essen, Postkarten und ein Reiseführer knapp 50 Euro. Zusammen sind das 1.278 Euro. Ich bin zufrieden.