Wundertüte guter Taten?

Auch im Tourismus ist die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen, im Fachjargon Corporate Social Responsibility (CSR), zum Schlüssel moderner Unternehmenskultur geworden

ANGELA GIRALDO leitet den Bereich „CSR im Tourismus“ bei der Kontaktstelle für Umwelt & Entwicklung (KATE) in Stuttgart. FOTO: G. ERMLICH

INTERVIEW GÜNTER ERMLICH

taz: Herr Fuchs, Sie behaupten, der Versuch, Corporate Social Responsibility zu definieren, sei der „Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln“. Was meinen Sie damit?

Heinz Fuchs: In der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft gibt es ein breites Spektrum von Vorstellungen, was alles unter dem Begriff CSR, also der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen, zu verstehen ist. Es ist längst nicht Konsens, dass CSR sich auf das Kerngeschäft unternehmerischen Tuns und seine sozialverantwortliche Ausgestaltung beziehen sollte. Heute benutzen wir CSR und Nachhaltigkeit meist synonym, es ergänzt die ehemals umweltlastige Nachhaltigkeitsdebatte durch soziale Komponenten.

Unternehmen weisen Sport- und Kultursponsoring, Spenden, Wohltätigkeitsgalas und Straßenprojekte für Kinder als CSR-Maßnahmen aus. CSR – nur eine Wundertüte guter Taten?

Fuchs: Ein Unternehmer, der mit Lohn- und Preisdruck und Ausbeutung gute Gewinne erzielt und anschließend ein Waisenhaus finanziert, übt keine soziale Verantwortung aus. Es geht bei CSR im Kern darum, Produkte auf den Markt zu bringen, die fair erzeugt wurden, umweltverträglich sind und den Menschen dienen. Allgemeine menschenrechtliche Standards und elementare Arbeitsrechte haben nichts mit freiwilligen CSR Konzepten zu tun. Dies sind grundsätzliche Prinzipien und Regulierungen der internationalen Staatengemeinschaft. CSR, verstanden als freiwillige zusätzliche gesellschaftliche Leistung, muss vielmehr die allgemein verbindlichen Standards übersteigen.

Frau Giraldo, Krombacher spendet für den Regenwald, VW setzt sich mit dem Naturschutzverband Nabu für die Wiederansiedlung der Wölfe ein und macht gemeinsame Spritspar-Trainings. Ist doch prima, oder?

Angela Giraldo: Das soziale Engagement von Unternehmen in Ehren, doch man kann die Unterstützung von Projekten nicht mit CSR verwechseln. Es geht eben nicht um einzelne gute Taten, sondern eine im ganzen Unternehmen verankerte Haltung und strategische Ausrichtung, um das Kerngeschäft des Unternehmens, um Kohärenz von nachhaltigem Handeln, von Transparenz bei den Sozial- und Umweltaspekten.

Viele Unternehmen publizieren Jahr für Jahr dicke Nachhaltigkeitsberichte. Reine Imagepolitur?

Giraldo: In Großunternehmen entstehen diese Nachhaltigkeitsberichte in den PR-Abteilungen. Meist erzählen die Unternehmen nur, was sie mit ihrem Geld für tolle soziale und ökologische Projekte machen.

Fuchs: Nachhaltigkeitsberichte sind meist werbewirksame Hochglanzbroschüren, eigentlich eine „Lizenz zum Gelddrucken“ für PR-Agenturen. Unternehmen wissen, dass sie durch Engagement für Umwelt und Natur, Menschen- und Kinderrechte einen Imagegewinn erzielen können. Also stellen sie ihr Engagement entsprechend dar und verkaufen es nach außen. Vieles darunter ist Green- bzw. Whitewashing.

Das heißt, Unternehmen stricken sich mit PR-Tricks ein grünes Mäntelchen?

Fuchs: Teilweise ja. Spätestens nach den Weltkongressen in Rio 1992 und Johannesburg 2002 müssten sich Unternehmen aber ihrer Rolle als Gestalter einer nachhaltigen und menschenwürdigen Entwicklung bewusst sein. Bisher gibt es wenig Standards für sinnvolle Konzepte freiwilliger Nachhaltigkeit, dafür positive Signale: Die G-8-Staaten haben dem Thema Unternehmensverantwortung bei ihrer Heiligendamm-Konferenz 2007 einen großen Stellenwert eingeräumt, kürzlich hat die Bundesregierung ein CSR-Forum mit Experten eingerichtet.

Was bedeutet CSR im Tourismus?

Giraldo: Tourismusunternehmen sollen ihr Kerngeschäft sozial und ökologisch verantwortlich gestalten und Transparenz schaffen, wie und unter welchen Bedingungen ihr Produkt Reise durchgeführt wird. Ein Unternehmen ist nicht nur dafür verantwortlich, Gewinne zu erwirtschaften, sondern auch dafür, unter welchen Bedingungen diese Gewinne zustande kommen.

Fuchs: CSR ist kein technisches Verfahren, sondern ein Konzept des Denkens. Das heißt in Bezug auf den Tourismus: Wie mache ich meine Reisen gegenüber Mensch und Natur möglichst nachhaltig und zukunftsfähig? Ein Flugreiseveranstalter muss dabei natürlich ganz andere Konzepte entwickeln als ein Rad- oder ein Bahnreiseveranstalter.

HEINZ FUCHS leitet die Arbeitsstelle Tourism Watch/Unternehmensverantwortung beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) in Bonn. FOTO: G. ERMLICH

Ihre Organisationen, KATE und Tourism Watch im EED, haben mit dem Forum Anders Reisen, einem Unternehmensverband von rund 150 kleinen und mittleren Reiseveranstaltern, den Leitfaden „CSR-Reporting im Tourismus“ entwickelt. Was steckt dahinter?

Giraldo: Aufgrund der Freiwilligkeit ist die soziale Unternehmensverantwortung sehr „weich“ geworden. Deshalb müssen wir Standards für CSR-Berichte einführen. Mit ihnen können wir die Nachhaltigkeitsleistung eines touristischen Unternehmens messen und überprüfen. Bei unserem Berichtssystem geht es um Ganzheitlichkeit, alle Bestandteile der Wertschöpfungskette eines Reiseveranstalters inklusive der Geschäftsstelle werden durchleuchtet. Wir haben verschiedene Kriterien in messbare Indikatoren übersetzt.

Zum Beispiel?

Giraldo: Wie viele CO2-Emissionen verursacht eine Reise pro Tag und Gast? Wie viel Gramm Papier produziert ein Unternehmen pro Kunde? Welcher Teil des Reisepreises bleibt als lokale Wertschöpfung in der Urlaubsregion? In Nachhaltigkeitschecks für Leistungsträger wird auch gefragt, ob die Angestellten sozialversichert sind und die Hotels energieeffizient arbeiten. Eine von uns entwickelte Software erleichtert die Datenerhebung.

15 Veranstalter des Forum Anders Reisen sind inzwischen zertifiziert worden und haben auf der Internationalen Tourismus Börse Berlin ein CSR-Qualitätssiegel erhalten. Wofür steht das Siegel genau?

Giraldo: Das Siegel für Unternehmensverantwortung steht nicht für ein einzelnes Produkt, sondern für die gesamte Nachhaltigkeitsleistung eines Tourismusunternehmens, für seine Glaubwürdigkeit und Transparenz gegenüber dem Kunden. Alle CSR-Berichte folgen der gleichen Struktur mit den gleichen Kennzahlen. Deshalb können wir in Zukunft, wenn wir mehr Erfahrungswerte gesammelt haben, auch die Nachhaltigkeit der Veranstalter vergleichen. Mindestwerte sind auch vorgesehen.

Fuchs: Wir wollen aber nicht die beste Nachhaltigkeitsleistung prämieren und Zustände bewerten, sondern beim Reiseveranstalter Prozesse in Gang setzen. Deshalb ist das Herzstück des Reporting-Systems der Verbesserungsplan, den ein Unternehmen formuliert, nachdem es seine Geschäftspraxis unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten durchleuchtet hat. Das Unternehmen kann selbst erkennen, wo es in punkto Nachhaltigkeit bereits gut aufgestellt ist und wo noch gezielt Verbesserungen möglich sind. Zum Beispiel die CO2-Emissionen pro Gast/Tag um 20 Prozent zu senken, auf einen Ökostromanbieter umzusteigen oder künftig verstärkt mit Geschäftspartnern zu arbeiten, die Ausbildungsplätze für Jugendliche anbieten.

Können die CSR-Berichtsstandards der Veranstalter des Forum Anders Reisen auch auf die Elefanten der Reisebranche übertragen werden?

Giraldo: Das CSR-Reporting-Verfahren ist überhaupt nicht auf kleine und mittlere Unternehmen beschränkt. Auch touristische Großkonzerne wie TUI, Thomas Cook und Rewe könnten den Prozess durchlaufen. Der Aufwand wäre natürlich größer, aber gerade diese Veranstalter mit ihren großen Stabsstellen, die schon ein Qualitäts- oder Umweltmanagement haben, besitzen doch die personellen und finanziellen Kapazitäten, um einen CSR-Prozess durchzuführen.

Wer sind eigentlich die Kunden von nachhaltigen Reiseveranstaltern?

Die Europäische Kommission definiert Corporate Social Responsibility (CSR) in ihrem Grünbuch von 2001 als „ein Konzept, das den Unternehmen als Grundlage dient, auf freiwilliger Basis soziale Belange und Umweltbelange in ihre Unternehmenstätigkeit und in die Wechselbeziehungen mit den Stakeholdern zu integrieren“.

Fuchs: Das sind zum einen die sogenannten Lohas [Lifestyle of Health and Sustainability; Anm. d. Red.], also Menschen, die aus Lifestyle-Gründen irgendwie verantwortlich leben wollen, obwohl wir ja auch wissen, dass sie in ihrem Reiseverhalten die größten Umweltsünder sind. Zum anderen gibt es eine Gruppe bewusst konsumierender Menschen, die aus ethischen Gründen und gerade auch in Krisenzeiten qualitätsvolle, langlebige und verantwortliche Produkte kaufen.

Freiwilligkeit ist nach der EU-Definition die Grundlage von gesellschaftlicher Unternehmensverantwortung. Kann das funktionieren: freiwillig verantwortlich?

Fuchs: Grundsätzlich handeln Unternehmen nicht aus Altruismus. Oft unternehmen sie freiwillige Anstrengungen, um damit gesetzliche Regelungen zu verhindern. Zum Beispiel hat die Reisebranche in Deutschland einen Verhaltenskodex zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung im Tourismus unterschrieben. Sehr wohl ist ein Verbraucherinformationsgesetz denkbar, das Reiseveranstalter verpflichtet, in ihren Katalogen auszuweisen, was sie zum Kinderschutz beitragen oder auch zum Klimaschutz.

Bleibt CSR im Tourismus ein Thema für die Nische oder wird es in absehbarer Zeit zum Mainstream?

Giraldo: In Zeiten von Klimawandel und Finanzkrise müssen Unternehmen einen Paradigmenwechsel vollziehen, ihre Denke und Strukturen verändern. Es geht nicht mehr alles auf Kosten von Mensch und Natur.

Fuchs: Wir sind doch schon ein Stückchen weiter. CSR und Nachhaltigkeit sind zumindest verbaler Mainstream. Es gibt kaum ein Unternehmen, das sich nicht als nachhaltig bezeichnen würde. Begriffe, Methoden und Denkkategorien ändern sich, doch das Anliegen bleibt unverändert: Es geht um einen umweltverträglichen, den Menschen dienlichen, verantwortlichen und fairen Tourismus.