Schöne Körper, gute Schau

SCHÖNHEIT „Sich schön machen ist eine soziale Inszenierung“, meint die Soziologin Nina Degele

ist seit 2000 Professorin für Soziologie und Gender Studies an der Universität Freiburg. Geboren 1963 in Ulm, studierte sie Soziologie, Politologie und Sinologie. Ihre Publikation zum Thema: „Sich schön machen. Zur Soziologie von Geschlecht und Schönheitshandeln“. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004

INTERVIEW EDITH KRESTA

taz: Frau Degele: Fettabsaugen, Busen vergrößern, Lifting, was heißt es, am Strand schön zu sein?

Nina Degele: Sich schön zu machen heißt, dass man sich sozial positioniert. Dass man anderen gegenüber ein bestimmtes Bild vermittelt und zwar in der Weise, wie man sich wünscht von anderen gesehen zu werden.

Sie haben in Gruppeninterviews das Thema „Schön sein“ ausgelotet. Was war für Sie die überraschendste Erkenntnis?

Es war die Hartnäckigkeit mit der fast alle – es waren fast 200 Leute, die in Gruppen diskutiert haben – darauf beharrt haben, dass sie sich für sich selber schön machen. Es war belastend für sie zu erkennen, das stimmt nicht, ich mache mich für andere schön. Das war fast eine Bankrotterklärung. Man will sich nicht als fremdgesteuert sehen. Dabei hat man die herrschenden Standards dermaßen verinnerlicht. Letztendlich ist es eine Banalität: Wir machen uns für andere schön. Sich schön machen ist eine soziale Inszenierung.

Hat sich diese Inszenierung gegenüber früher verändert?

Körperlichkeit spielt eine viel größere Rolle in unserer Kultur heute als noch in den 50er- oder 60er-Jahren, weil die Tabuisierung von Körperlichkeit damals stärker war. Körperlichkeit stellt heute Leistungsfähigkeit, Disziplin, Coolness zur Schau. Und es gibt heute sehr viel mehr Möglichkeiten, Körperlichkeit zu inszenieren: Es gibt medizinische, operative Eingriffe, und diese sind für viele erschwinglich geworden. Über Körperlichkeit wird darüber hinaus Konkurrenz ausgetragen. PersonalleiterInnen, die entscheiden, wer eingestellt wird, achten auch auf die äußerliche Inszenierung. Die Möglichkeit, sich dadurch – ein schreckliches Wort – employable zu machen, nutzen viele. Helmut Kohl wäre heute als Bundeskanzler nicht mehr vermittelbar, weil er nicht dynamisch aussieht. Ist das Normendiktat für Frauen größer?

Es gibt unterschiedliche Spielregeln. Aber die rigiden Geschlechtergrenzen sind durchlässiger geworden.Sie meinen beispielsweise, dass immer mehr Männer magersüchtig werden?

Beispielsweise. Aber in einigen Milieus haben Frauen sicherlich engere Normen. In den höheren Businessetagen beispielsweise muss eine Frau höllisch aufpassen, dass sie weiblich genug, aber auch nicht zu weiblich ist, dann wird sie zu tussihaft, zu sekretärinnenhaft. Es ist eine hohe Anforderung, das richtige Weiblichkeitsmaß zu treffen. Außerdem: Wenn sie mit Anzug und Schuhen rumlaufen, schränkt das ihre Bewegungsfreiheit weniger ein, als wenn sie in engem Rock und Stöckelschuhen herumlaufen. Man muss sehen, was das Diktat jeweils bedeutet.

Sie sagen, Körperlichkeit inszeniert die eigene Identität. Dann ist es fatal, alt zu werden.

Stimmt. Wenn man das nicht entsprechend zu kaschieren weiß, dann ist das in leistungsorientierten Gesellschaften ein großes Problem. Es hängt ein riesiger Markt dran: Verjüngungscremes, Mode, Operation – alles das, was zur Verfügung steht, um jünger zu wirken. Mindestens zehn Jahre. Sonst sieht man tatsächlich alt aus.Was macht ein hässlicher Mensch?

Es gibt heute sehr viel mehr Möglichkeiten, Körperlichkeit zu inszenieren: Es gibt medizinische, operative Eingriffe und diese sind für viele erschwinglich geworden

Zum Glück besteht mein Job nicht darin, Ratschläge zu geben. Aber derjenige sollte versuchen, Gleichgesinnte zu finden, die gegen die herrschenden Schönheitsideale opponieren wollen. Ich denke beispielsweise an Beth Ditto and the Gossip. Sie ist fett, inszeniert sich in hautengen Minikleidern, ist lesbisch, rasiert sich nicht die Achselhöhlen. Eine Provokation und gerade deshalb bei vielen jungen Frauen richtig hip geworden. Dazu gehört eine Menge Selbstbewusstsein.

Das hat nicht jeder …

Genau, und deshalb wären die richtigen AdressatInnen, um gegen die herrschenden Schönheitsnormen zu rebellieren, eher diejenigen, die Standards setzen. Also im Fernsehen sieht man keine grauhaarige Moderatorin. Warum müssen sich eigentlich alle die Haare färben? Wenn alle die Falten mit Botox wegspritzen oder sich liften lassen, dann sind alle, die es nicht machen, nicht mehr normal. Die AdressatInnen zur Veränderung sind nicht diejenigen, die den scheinbaren Makel haben, sondern diejenigen, die dafür sorgen, dass etwas ein Makel ist.

Würden Sie mir bei hervorquellendem Bauch eine Fettabsaugung empfehlen?

Ich würde niemandem eine Fettabsaugung empfehlen, aus gesundheitlichen Gründen, aus ökonomischen Gründen und aus dem Grund, weil dadurch Normen stabilisiert werden. Ich finde es spricht alles dagegen.