Bed & Breakfast gegen die Wirtschaftskrise

FAMILIENPENSIONEN Kostengünstige private Unterkunft, der kubanische Alltag inklusive

Fernsehende Großväter und spielende Kinder sind mit von der Partie, wenn die Touristen essen

VON SILVIA STIENEKER

Zwei Betten, ein eigenes Bad, ein Kühlschrank und eine Klimaanlage – so viel Luxus muss sein im Sozialismus. Die Regierung macht Privatvermietern strenge Vorgaben, wenn sie die Lizenz für eine „Casa Particular“, ein Privathaus, erwerben möchten. Für jedes Zimmer müssen die Betreiber 200 bis 300 Dollar pro Monat bezahlen, um ihr Haus mit der begehrten blauen Plakette schmücken zu dürfen, die ihnen offiziell gestattet, in maximal zwei Zimmern Touristen zu beherbergen.

„2010 waren wegen der Wirtschaftskrise zu wenig Touristen da. Wir haben tüchtig draufgezahlt“, erzählt Linda, die in Trinidad, einem malerischen Kolonialstädtchen im Süden der Insel, eine Casa Particular betreibt.

In guten Jahren machen die Betreiber allerdings Gewinne, von denen angestellte Kubaner nur träumen können. 20 bis 30 Dollar kostet eine Übernachtung – das ist ungefähr so viel wie der durchschnittliche Monatslohn in Kuba. Selbst der Präsident Raúl Castro verdient nach offiziellen Angaben nur 30 Dollar pro Monat. Nuri, eine Chemieprofessorin aus Santiago, hat ihren Job an den Nagel gehängt. „Das hat sich finanziell einfach nicht mehr gelohnt“, sagt die Wirtin eines hübschen blauen Holzhauses in Siboney bei Santiago.

Anstatt Studenten zu unterrichten, bekocht Nuri nun Touristen. Leicht ist das nicht, denn durch die seit seit 1962 bestehende Lebensmittelrationierung kommt es immer wieder zu Engpässen. Milch zum Beispiel ist ein Luxusgut, auf das erwachsene Kubaner in der Regel verzichten müssen. Nicht so die Touristen, die bekommen zum Frühstück Milchkaffee, Brot, Obst und Omelettes serviert. Auch das Abendessen ist reichhaltig: Neben Reis mit schwarzen Bohnen, der kubanischen Standardbeilage, kommen Salat, Fisch, Schweineschnitzel, Hühnchen und auf Wunsch sogar Hummer auf den Tisch.

Die Verpflegung in der Casa Particular ist in der Regel besser als das Essen in staatlichen Restaurants. Statt von lustlosen Kellnern bei Neonlicht servierten mittelmäßigen Mahlzeiten gibt es kubanische Hausmannskost im Wohnzimmer – Familienanschluss inklusive. In Kuba leben meist drei Generationen unter einem Dach. Und so sind fernsehende Großväter und spielende Kinder fast immer mit von der Partie, wenn die Touristen essen. In der Nacht sind Ohrenstöpsel ein unverzichtbares Utensil, denn viele Kubaner halten wegen der Lebensmittelknappheit Hühner – und Hähne. Und die machen ab zwei Uhr die Nacht zum Tag.

Auch wenn der Lärmpegel meistens hoch ist, hat die Unterkunft Casa Particular immense Vorteile gegenüber den All-Inclusive-Ressorts an den Küsten. Statt Disco-Animation und Allerweltsküche gibt es interessante Einblicke ins Alltagsleben der Kubanerinnen und Kubaner. Die 24-jährige Linda aus Trinidad erzählt zum Beispiel von ihrer Arbeit mit behinderten Kindern: „In Kuba geht es Behinderten und ihren Familien sehr schlecht. Es gibt fast keine Rollstühle oder andere Hilfsmittel. Eltern, die ein behindertes Kind haben, können meistens nicht mehr arbeiten, weil es zu wenig Betreuungsplätze gibt. Für meine Arbeit bekomme ich nur zehn Dollar im Monat, ohne die Casa Particular könnten wir auch nicht über die Runden kommen.“ In ihr Haus am Rand des Städtchens Trinidad hat Lindas Familie viel investiert: Der rosa Anstrich des Kolonialhauses ist genauso neu wie die Fliesen im blumengeschmückten Patio. Die Häuser der Nachbarn sind längst nicht so schön.

Die Konkurrenz unter den Wirten ist groß. Jedes Mal, wenn einer der klimatisierten blau-weißen Viazul-Busse mit Touristen den Busbahnhof erreicht, warten die Betreiber scharenweise hinter dem Absperrband und versuchen durch lautes Schreien und Plakate auf sich und ihr Haus aufmerksam zu machen. Auch professionelle Schlepper warten dort, denn sie kassieren bei erfolgreicher Vermittlung in eine Casa Particular fünf Dollar von den Wirten. Meistens werden die Touristen jedoch von Stadt zu Stadt, von Wirt zu Wirt weitervermittelt – die telefonische Vernetzung und Solidarität der Kubaner untereinander kennt keine Grenzen.

Durch die umfangreichen Wirtschaftsreformen, die Präsident Raúl Castro Anfang des Jahres angekündigt hat, wird die Zahl der Privatunterkünfte wohl sprunghaft ansteigen: 500.000 Staatsangestellte sollen noch in diesem Jahr ihre Arbeit verlieren. Stattdessen dürfen sie sich selbstständig machen, mit kleinen Geschäften, Werkstätten und Touristenunterkünften.