Radeln mit Sex-Appeal

LEBENSSTIL Taiwan setzt auf neue Radfahrtrends

VON KERSTIN E. FINKELSTEIN

Wolkenkratzer, gelbe Taxen, sechsspurige Straßen und Verkehr, Verkehr. Taipeh, Taiwans Hauptstadt, erinnert eher an eine US-Großstadt als an ein asiatisches Radlerparadies. Die einstige Liebe zum Rad scheint unter Taipehs Wahrzeichen, dem 508 Meter hohen „101“, keine Zukunft zu haben.

Dabei spielt das Land in der Radproduktion-Championsleague: In Taiching, knapp 200 Kilometer südwestlich der Hauptstadt, hat die Firma Giant ihren Stamm- und Hauptsitz. Das 1972 von King Liu gegründete Unternehmen ist derzeit Radweltmarktführer und fertigt auch für diverse andere Firmen von Scott bis Trek. Auch in Deutschland steht „Made in Taiwan“ hoch im Kurs: Von den über vier Millionen im vergangenen Jahr verkauften Rädern stammte jedes zehnte Rad von der Insel.

Nun könnten die taiwanischen Radexperten einen neuen Trend nach Europa exportieren: den Radshop für Frauen. „Liv“ steht in lila Buchstaben auf dem Gehweg der Dunhua Nan Road in Taipehs Banken- und Geschäftsviertel. Hinter der Tür erstreckt sich in sanftem Licht eine Radgalerie. Die Gründerin des Shops, passionierte Radfahrerin und Giant-Finanzvorstand Bonnie Tu, will Frauen damit für das Radfahren begeistern. Die Damen der besser verdienenden Mittelschicht können sich in dem 264 Quadratmeter großen Radsalon inspirieren lassen: von rosa Shirts in Leuchtschränken, großen Spiegeln, die zeigen, ob einem das Rad steht, oder den weiblichen Angestellten.

„Viele Taiwanerinnen haben Angst, auf dem Rad zu männlich zu wirken“, weiß Tu. Dieser Sorge begegnet der Shop abends mit speziellen Kursen. „Bei uns lernt man, sich fürs Radfahren richtig zu schminken, um einen Sonnenbrand zu vermeiden. Wir bieten außerdem Yoga zum Ausgleich an, damit sich die Muskulatur nicht verkürzt und einen unschönen Gang hervorruft“, sagt Violet Liu.

Die Idee kommt gut an. „Mittlerweile ist das Rad zumindest als Sport- und Freizeitgerät bei taiwanischen Frauen wieder im Kommen“, sagt Tu. Wer sich schließlich zum Kauf eines entspannten Mountainbikeverschnitts oder flotten Rennrads entschlossen hat, wird mit einer kleinen Zeremonie belohnt. Aus dem Keller fährt der neue Liebling per Hebebühne in den Verkaufsraum, Lichteffekte und Blumen inklusive. Und wer das Rad dann gleich um die Ecke auf einem der neu angelegten Radwege ausprobiert hat, kann anschließend zum Duschen in den Laden zurückkehren. „Wir verkaufen hier einen Lebensstil und nicht nur Fahrräder“, betont Tu.

Und dieser breitet sich auf dem Land aus. „Es gibt inzwischen ein touristisches Radwegenetz im Osten des Landes, mit Leihstationen an jedem Bahnhof und speziellen Radlerhotels, wo man über Nacht sein Rad warten lassen kann“, erzählt Tu. Und um die Gegend auch mehr ins außerasiatische Bewusstsein zu bringen, führt man dort seit Neuestem den „Taiwan Cup“ durch, zu dem in diesem Jahr immerhin schon Größen wie der Tour-de-France-Etappensieger Amets Txurruka antraten.