Übrig bleiben Zöpfe

DAS VERGESSENE REZEPT Zu einer „schönen Leich“ gehört auch ein Leichenschmaus. Aber auf chefkoch.de gibt es keine Rezepte dafür

Die Zutaten: 1 Kilogramm Mehl (Type 550), 1 Würfel Hefe, einen halben Liter lauwarme Milch, 100 Gramm Zucker, 150 Gramm weiche Butter, 15 Gramm Salz, 2 Eier, einen Esslöffel Zitronensaft, etwas abgeriebene Zitronenschale, 100 Gramm Rosinen, Hagelzucker und Mandelstifte zum Bestreuen

Das Rezept: Für den Teig alle Zutaten (bis auf die Rosinen, den Hagelzucker, die Mandelstifte und ein Eigelb zum Bestreichen) in eine große Schüssel geben, dazu die Hefe zerbröckeln und die Butter kleinschneiden. Mit dem Handrührgerät oder von Hand sehr lange zu einem geschmeidigen Teig verkneten (dauert von Hand etwa zehn Minuten, mit dem Rührgerät fünf). Am Ende die Rosinen, die man etwas eingeweicht hatte, dazugeben. Der Teig darf nicht mehr klebrig sein. Abdecken und zwei Stunden gehen lassen. Kurz durchkneten und in drei gleich große Stücke teilen. Nochmals zudecken und zehn Minuten ruhen lassen. Den Teig zuerst zu Kugeln, dann zu langen Strängen formen und zu einem Zopf flechten – von der Mitte aus, dann kann man die Enden schöner formen. Auf ein gefettetes Blech legen und zudecken. Nochmals dreißig Minuten gehen lassen. In der Zwischenzeit Ofen auf 200 [o]C vorheizen. Zopf mit Eigelb bestreichen. Hagelzucker und Mandelstifte aufstreuen. In den heißen Ofen stellen und die Temperatur auf 180 [o]C herunterdrehen. Den Zopf etwa dreißig Minuten backen.

VON PHILIPP MAUSSHARDT

Mit Lob ist man in den Dörfern rund um Stuttgart eher geizig. Doch wenn nach einer Beerdigung die Hinterbliebenen zu einem Leichenschmaus einladen, um bei Butterbrezeln, Trollinger und Hefekranz den Toten nochmals auferstehen zu lassen, dann war es im Sprachgebrauch der Schwaben „a scheene Leich“, also eine gelungene Feier. Das Essen und (in manchen Fällen noch mehr) das Trinken haben dabei eine verbindende Wirkung. Freunde, Verwandte, Nachbarn und Weggefährten treffen sich in dieser Konstellation zum ersten und zum letzten Mal, um dem Verstorbenen die letzte Ehre zu erweisen.

In vielen Regionen ist der Leichenschmaus der wichtigste Teil einer Beerdigung. Der schwäbische Koch Vincent Klink hat eine solche Zusammenkunft schon mal als „After-Work-Party“ bezeichnet, bei der man sich, nachdem man den Verstorbenen unter die Erde gebracht hat, mit reichlich Essen und Trinken darüber hinwegtröstet, dass zum ersten Mal über einen Menschen in der Vergangenheitsform gesprochen wird. Leichenschmaus sei „der ultimative Zeitpunkt friedlicher Koexistenz“, weil er noch vor der Testamentseröffnung stattfinde.

Schmaus klingt nach Opulenz, nach saftigem Braten oder üppigem Buffet. Tatsächlich wird in vielen Regionen eher ein karges Mahl aufgetischt: in Norddeutschland Streuselkuchen, in Süddeutschland Hefezopf oder Blechkuchen. Vor allem in den pietistisch geprägten Landesteilen meiner Heimat unternehmen die Weiterlebenden alles, um jeden Verdacht zu zerstreuen, sie seien womöglich wohlhabend. Der obligatorische Hefezopf wird deshalb auch dann ohne Rosinen serviert, wenn der Tote mehrfacher Millionär gewesen ist. Beziehungsweise gerade dann.

Beim Leichenschmaus meines Großvaters vor 27 Jahren waren sehr viele Rosinen im Teig. Das lag daran, dass ihn weder ein Bäcker noch die Nachfahren selbst gebacken hatten, sondern ausgewählte Dorfbewohner. Kurz vor seinem Tod hatte mein Großvater eine Namensliste erstellt von Personen, die zu seiner Beerdigung eingeladen werden sollten. Hinter einige Namen hatte er ein Sternchen gemalt. Die sollten den Hefezopf backen. Eine ziemlich pfiffige Idee für einen 101-Jährigen, denn so kam es bei seinem Leichenschmaus zu einer Art Hefezopf-Wettbewerb unter den Landfrauen mit ganz hervorragenden Ergebnissen.

Heute ist der selbstgemachte Hefezopf nahezu in Vergessenheit geraten, weil zunehmend Cateringfirmen oder das dem Friedhof am nächsten gelegene Café oder Restaurant die Versorgung der Trauergäste übernehmen. Dann stehen Sahnetorten oder Gulaschsuppen auf den Tischen und manchmal auch, noch schlimmer, Spaghetti.

Vergessen ist nämlich auch der Ursprung dieses Brauchs: In manchen Gegenden legte man den toten Männern die abgeschnittenen Haarzöpfe ihrer Witwen mit ins Grab – daran sollten die Hefezöpfe erinnern. Wem das zu makaber erschien, der tröstete sich mit Bier, Wein und Schnaps über den Tod hinweg. Das ging nicht selten so weit, dass am Ende einer solchen Feier der Tote vermeintlich wieder auferstand und die ganze Festgesellschaft auf seine Gesundheit anstieß. Das war dann eine ganz besonders „schöne Leich“.

Die Essecke: Philipp Maußhardt schreibt hier jeden Monat über vergessene Rezepte. Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte, Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche, und unsere Korrespondenten berichten, was in ihren Ländern auf der Straße gegessen wird