Das unsichtbare Tribunal

Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt: In Hamburg residiert mit dem Internationalen Seegerichtshof das einzige UN-Tribunal in Deutschland. Anfang August verkündete er wieder ein Urteil – das erste seit drei Jahren

Durch einvernehmliche Urteile der 21 Richter wird die Zusammenarbeit zwischen den Staaten vertieft

Von BIRTE STAUDE

An Streitigkeiten auf hoher See mangelt es nicht: Fischer fischen in den falschen Gewässern, Seeleute werden wochenlang in fremdem Hoheitsgebiet festgehalten, Öl leckt aus alten Tankern – und dann der ständige Konflikt um Meeresgrenzen. Doch obwohl viele Streitigkeiten zu schlichten sind, dauerte es ganze drei Jahre, bis der Internationale Seegerichtshof (ISGH) in Hamburg Anfang August wieder einmal ein Urteil verkündete.

In Deutschland ist der ISGH deshalb umstritten. Seit 2000 residiert das internationale Tribunal im repräsentativen Hamburger Stadtteil Nienstedten, zuvor war er seit 1996 provisorisch in einem Gebäude in der Innenstadt untergebracht. Fünfzehn Fälle haben die 21 Richter seither entschieden. Aber was tut der Gerichtshof in der Zwischenzeit?

Rüdiger Wolfrum ist seit 2005 der Präsident des einzigen deutschen UN-Tribunals; das Negativ-Image gehört zu seinem Alltag. Mit 35 dauerhaften Angestellten arbeitet er in einem 99-Zimmer-Gebäude nahe der Elbe. Der gläserne Komplex ist um eine Villa aus dem Jahr 1870 herumgebaut, die Konferenzräume sind mit modernster Technik ausgestattet. Genügend Gründe, die dafür sprächen, dass Fälle in Hamburg verhandelt würden.

Aber die Arbeit des Präsidenten bestehe aus mehr, als Prozesse zu bearbeiten, sagt Wolfrum. Neben der Verwaltung kümmere er sich vor allem darum, den ISGH international zu integrieren. Dass so wenige Fälle auch tatsächlich nach Hamburg kommen,, erklärt er damit, dass die Institution einfach noch zu wenig bekannt sei – selbst innerhalb Europas.

Der ISHG ist das erste weltweit zuständige und auf Seerecht spezialisierte Tribunal. Zuvor konnten solche Fälle nur vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag verhandelt werden. Dort aber sind fast nur Völkerrechtler beschäftigt. Beim ISGH sitzen dagegen 21 Experten aus dem Seerecht auf den Richterstühlen. In Den Haag werden nach Angaben von ISHG-Sprecherin Julia Ritter zwei bis drei Fälle im Jahr entschieden. Eine solche Quote strebe auch der ISHG an.

Um den Gerichtshof zu etablieren, veranstaltet der Präsident mit den Richtern gemeinsam Workshops im Ausland. Zwei davon haben sie in Dakar und Singapur abgehalten – was zu dem gerade abgeschlossenen Prozess zwischen Japan und Russland führte. Erst durch den Workshop nämlich war die Japanische Seite auf die Existenz des ISHG aufmerksam geworden.

In diesem Sommer veranstaltet die Internationale Stiftung für Seerecht erstmalig eine Sommerakademie für Nachwuchsjuristen. 33 Teilnehmer aus 28 Ländern studieren bis zum 26. August in den Räumen in Nienstedten. Der Zufall wollte es, dass die Gruppe genau zu der Zeit der Urteilsverkündung der vorerst letzten beiden Fälle in Hamburg war.

Einer der Teilnehmer ist Philipp Schwarz. Der 26-Jährige erhofft sich von der Sommerakademie „Einblicke in ökologische und ökonomische Zusammenhänge“. Dass das Tribunal gerade für kleine Länder und Dritte Welt-Staaten wichtig sei, sagt Finau Heuifanga aus dem südpazifischen Tonga. Kleine Inselstaaten hätten Grenzen zu bis zu sechs anderen Staaten – da gebe es viel Schlichtungsbedarf.

Die mittlerweile 155 Vertragsstaaten, die den ISHG anerkennen, wählen die unabhängigen Richter in einer geheimen Wahl. Wichtig ist dabei, dass auf die geographische Verteilung der Robenträger geachtet wird.

Der Präsident muss stets in Hamburg vor Ort sein. Die übrigen Juristen reisen nur für die Fallentscheidungen an die Elbe. In der Zwischenzeit arbeiten sie zumeist als Lehrende an Hochschulen. In Hamburg haben die 21 Richter in den vergangenen Wochen bis spät in die Nacht an den beiden Urteilen zu „Hoshinmaru“ und „Tomimaru“ gearbeitet, koordiniert von Wolfrum. Über jedes Wort musste abgestimmt werden. Am Ende kam es zu einem einstimmigen Ergebnis. Das sei ein äußerst seltener Fall, sagt Wolfrum. Der Japaner Shunji Yanai sagte nach der Verkündung: „Auf der Basis dieser Urteile wird die gute Zusammenarbeit zwischen Russland und Japan vertieft.“ Wolfrum sieht dies als ein Verdienst des ISGH.

Auffällig ist, dass nur in der deutschen Presse betont wird, wie wenig Fälle in Hamburg verhandelt werden. In der russischen und japanischen Presse haben Journalisten über den Fall berichtet, aber von einem Negativ-Image ist nichts zu spüren. Wolfrum hofft, durch diese zwei Fälle bald weitere Urteile verkünden zu können. Und dass dann endlich über seine Arbeit berichtet wird und nicht nur darüber, was er angeblich nicht tut.