Alte Kästen, neuer Chic

Wohnungssuche: Wie beliebt ist die Nachkriegsmoderne?

Junge Neuberliner wohnen nicht freiwillig in den Westbezirken der Hauptstadt. Vor allem Studierende ziehen lieber in die Ostviertel Prenzlauer Berg und Friedrichshain. Hauptsache Altbau, günstig und nah an einem Szenekiez. Rund um die Nachkriegsbauten der Karl-Marx- und Frankfurter Allee in Friedrichshain finden sie, was sie suchen. Ins fast zeitgleich erbaute Hansaviertel in Berlin-Tiergarten dagegen ziehen nur diejenigen, die ein berufliches oder familiäres Interesse daran haben: Architekten, Mitarbeiter der nahen Universitäten sowie Kinder und Enkel der Erstbewohner. Sie sind eine Minderheit. Die westliche Nachkriegsmoderne gilt gemeinhin nicht als schick.

Dafür gibt es Gründe. Im Hansaviertel bestimmen üppige Hecken, Rasen und Bäume das Straßenbild. Heute aber reicht den meisten Wohnungssuchenden schon ein Balkon. Dagegen sind die Ansprüche an die Zimmer gestiegen. Doch viele Häuser des Hansaviertels bieten nur kleine Ein- oder Zweizimmer-Wohnungen. Der junge, kreative, unentschlossene Mensch von heute allerdings sucht drinnen Platz, um sich auszubreiten: Seine Individualität ausleben will er, mehr, als das in den 50er Jahren möglich war.

Zwar bieten die Wohnungen in Karl-Marx- und Frankfurter Allee kaum mehr Raum, haben aber einen anderen Vorteil: Hier findet man weniger Natur und Ruhe, dafür städtisches Leben. Der Kiosk und die Lieblingskneipe gleich vor der Tür, die Freunde nebenan, der nächste Kiez ein paar Straßen weiter: All das muss heute jene Gefühle der Zugehörigkeit schaffen, für die früher Familien und Verbände sorgten. Hinzu kommt der Preis. Im Hansaviertel sind aus vielen Miet- nun Eigentumswohnungen geworden, und die neuen Besitzer wollen den Kaufpreis über die Mieten wieder einnehmen. Günstiger als in Friedrichshain sind die Wohnungen im Hansaviertel deshalb nicht. Das Interesse an den einstigen Prestigebauten Westberlins wird sich daher auch künftig in Grenzen halten. Fabian Soethof