Premiere in der „Sonderbar“

Ein Göttinger Szene-Wirt attackiert das niedersächsische Nichtraucherschutzgesetz. Die Regelung benachteilige kleine Kneipen, sagt er. Die Einnahmen seien schon eingebrochen. Nun versucht er, mit Bezahlfernsehen neue Kundschaft anzulocken

AUS GÖTTINGEN REIMAR PAUL

Advents- und Einkaufstrubel in Göttingen, dichtes Gedränge in der Fußgängerzone, doch in der „Sonderbar“ ist nicht viel los. Gerade mal vier Leute hocken nachmittags um vier am Tresen der Szene- und Eckkneipe mitten in der Innenstadt. „Tagsüber schlägt das Rauchverbot noch viel mehr durch als abends“, sagt Betreiber Hugo Wieck. Viele Gäste, die im Job schon lange nicht mehr qualmen dürften und sich in der Mittagspause oder nach Feierabend zum Milchkaffee gerne eine Zigarette anzündeten, blieben jetzt weg.

Seit dem 1. August darf in Niedersachsens Gaststätten grundsätzlich nicht mehr geraucht werden. Die Kneipen können allerdings klar abgetrennte Nebenräume als Raucherzonen ausweisen. Sofern sie denn über solche Räume verfügen. Wie viele andere Lokale, besteht auch die kleine „Sonderbar“ nur aus einem einzigen Raum. Es gibt keine Möglichkeit für bauliche Veränderungen. Dreißig bis vierzig Prozent weniger Gäste und entsprechend weniger Umsatz bilanziert Wieck für seinen Laden. „Das bedroht ganz klar unsere Existenz.“

Ein paar hundert Meter weiter, am Wilhelmsplatz, hat Wieck noch eine zweite Kneipe, das „Blue Note“. Früher spielten dort namhafte Jazz- und Dixieland-Bands zum Frühschoppen auf. In den vergangenen Jahren war der Keller-Club vor allem wegen seiner Oldie- und Ethno-Parties angesagt. Zwar ist das „Blue Note“ wesentlich größer als die „Sonderbar“, doch ein abtrennbarer Raum ist auch hier nicht zu realisieren. „Eine Wand einziehen, das geht schon wegen der Be- und Entlüftung nicht“, sagt Wieck. Er sieht sich durch das Nichtrauchergesetz gegenüber Gaststätten mit mehr Räumlichkeiten klar benachteiligt.

Nach einer dreimonatigen Übergangszeit müssen die Wirte in Niedersachsen bei Verstößen inzwischen mit Strafen rechnen. Während einige Kommunen zunächst nur Verwarnungen aussprechen wollen, hat Göttingen bereits Bußgelder angekündigt. Auch hierbei sieht Wirt Wieck seine beiden Kneipen in der City klar im Nachteil. Während Gaststätten in den Vororten oder am Stadtrand überhaupt nicht oder nur gelegentlich kontrolliert würden, schauten die Leute vom Ordnungsamt zwei oder dreimal am Tag in der „Sonderbar“ vorbei. Das sei doch Wettbewerbsverzerrung, findet Wieck.

Auf einer Fensterbank liegen Unterschriftenlisten aus. Gäste können dort gegen das Nichtraucherschutzgesetz protestieren. Chancen räumt Wieck der Aktion indes ebenso wenig ein wie der vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DeHoGa) in Niedersachsen gestarteten Volksinitiative für Änderungen an dem Gesetzeswerk.

Für Wieck geht es nun vor allem darum, die auflaufenden Verluste etwas abzufedern. Kürzlich hat die „Sonderbar“ den Bezahlsender Premiere abonniert, einen Beamer und eine Leinwand installiert, um Fußballfans anzulocken. Gas-Radiatoren oder Elektro-Strahler vor den Eingang zu stellen, kommt für Wieck dagegen nicht in Frage. „Zu teuer“, sagt er, „und auch nicht ökologisch.“

Andere Wirte sind da weniger dogmatisch. Das „Salamanca“, das eine Klientel von der Polit-Szene bis hin zu stillen Trinkern anspricht, hat draußen ein beheiztes Raucherzelt aufgestellt. Vor den Eingängen des Kulturzentrums „Musa“ stehen sogar richtige Raucherhütten. Seitdem es kalt geworden ist, können sich die Raucher dort außerdem an Feuerchen in alten Ölfässern wärmen.

Das Draußen-Rauchen schafft drinnen allerdings neue Probleme. Taschendiebstahl zum Beispiel. Im dunklen und unübersichtlichen „Blue Note“-Gewölbe habe die Klauerei zuletzt deutlich zugenommen, sagt Wieck. Die Diebe nähmen sich ganz gezielt die Sachen von Leuten vor, die vor die Tür gegangen seien, um eine zu qualmen.

Dabei geht es aus Sicht von Wieck bei der Nichtraucherregelung nur vorgeblich um den Gesundheitsschutz. In dem ganzen Gesetzestext werde das Wohlergehen von Gästen und Beschäftigten schließlich nicht mit einem einzigen Wort erwähnt. „Es geht“, sagt Wieck und dreht sich eine Zigarette, „neben einem ganz massiven Eingriff in die persönlichen Rechte um das Thema Versicherung und Haftung“. Der Staat, so die Vermutung des Gastronomen, befürchte Entwicklungen wie in den USA, wo Klagen von vermeintlichen Nikotinopfern Millionenzahlungen von Industrie und Behörden erzwängen.