Freiräume gestalten

In Friedrichshain plant die Baugruppe Südwestsonne für das nächste Jahr den ersten Spatenstich für ein Wohnprojekt neben dem Buddhistischen Zentrum. Es ist eine von vielen Baugruppen, die sich auf den Experimentdays 08 vorstellen werden

Rund 100 „zukunftsweisende“ Wohn-, Kultur- und Stadtteilprojekte werden sich am Wochenende des 11. und 12. Oktober auf den experimentdays 08 präsentieren – auf 3.000 Quadratmetern in den neuen Weddinger UferHallen. Dabei sein werden nicht nur Projekte aus Berlin, sondern auch aus dem Umland, wie das Mehrgenerationen-Wohnprojekt „Lebensgarten Templin“. Thematisch gibt es dieses Jahr drei Schwerpunkte: Wohnkulturen – von generationenübergreifender Baugemeinschaft bis zum Passivhaus; Stadtteilkulturen – vom Kieztourismus bis zum Nachbarschaftshaus; sowie Kreativkulturen – von der Off-Galerie bis zum internationalen Kreativzentrum. Weitere Infos und das vollständige Programm unter www.wohnportal-berlin.de.

VON SVEN KULKA

Sie bilden fast immer eine Einheit aus einer tragfähigen Gemeinschaft, sie bauen ökologisch nachhaltig und haben sehr viel Einfluss auf die Gestaltung ihres privaten Umfelds – die Mitglieder von Baugruppenprojekten. Eine davon ist die Baugruppe Südwestsonne in Friedrichshain.

Es ist vier Jahre her, dass Mitglieder des Buddhistischen Zentrums Bodhicharya auf die Idee kamen, nebenan ein Wohnhaus zu errichten. 2007 kauften dann vier Paare aus der Südwestsonne Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) der Stadt das Grundstück Scharnweber Straße 45 in Berlin-Friedrichshain unter klassisch marktwirtschaftlichen Bedingungen ab.

Den Mitstreitern der Baugruppe Südwestsonne ist also gelungen, was für viele andere Baugruppen bereits die erste große Hürde darstellt: der Kauf eines Grundstücks. Denn im Wettbewerb mit Investoren können die Baugruppen häufig nicht mithalten. Wobei nicht immer der im Rahmen der Ausschreibungen geforderte Kaufpreis das Hauptproblem ist.

Im November beispielsweise hat eine Baugruppe im Blockinneren zwischen Mehringdamm, Kreuzberg-, Großbeeren- und Hagelberger Straße fünf dreigeschossige Reihenhäuser und ein Doppelhaus jeweils mit Garten und Dachterrasse errichtet. Gekostet hat das 1.700 Quadratmeter große Grundstück 265.000 Euro, was vergleichsweise preiswert ist – das 516 Quadratmeter große Grundstück in der Scharnweberstraße kostete zum Beispiel 320.000 Euro.

Es ist vielmehr die oft lange Zeit, die Baugruppen brauchen, um sich über die Finanzierung zu einigen und den Kaufvertrag zu unterschreiben, die den Investoren Vorteile verschafft – sie sind häufig einfach schneller.

Räume für Heilpraktiker sowie ein ambulanter Pflegedienst sind im Erdgeschoss des Gebäudes der Baugruppe Südwestsonne vorgesehen – betrieben vom Hospizprojekt des Buddhistischen Zentrums, das als Körperschaft Teil der Baugruppe ist. In der ersten Etage sollen Individualwohnungen für jüngere Menschen entstehen, die sich aufgrund von Schicksalsschlägen mit einem nahen Lebensende auseinander setzen müssen – behindertengerecht mit Gemeinschaftseinrichtungen wie Pflegebad, Küche-, Wohn- und Essbereich für fünf bis acht Personen. „Integriertes Wohnen bis zuletzt“, nennt das ambulante Hospizteam von Bodhicharya die Philosophie, die hinter dem Ansatz steckt.

Im 2. bis 5. Obergeschoss sollen private Eigentumswohnungen entstehen – alle mit Balkon und Ausblick nach Südwesten in den eigenen Garten sowie auf das Buddhistische Zentrum. „Mehrere Generationen werden im Haus Südwestsonne unter einem Dach wohnen“, sagt Inka Drohn, Architektin und Gründerin der Baugruppe Südwestsonne. Gleich neben dem Buddhistischen Zentrum, wo die Idee entstand, ein überkonfessionelles Haus zu bauen für Familien mit kleinen Kindern, für ältere Menschen, für Gesunde und Kranke.

„Baugruppen verwirklichen ihren Lebensstil nicht nur in den eigenen vier Wänden“, sagt Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer, „ihre Mitglieder engagieren sich auch überdurchschnittlich im Kiez, bringen Kaufkraft und im Einzelfall bei Jungunternehmern auch Arbeitsplätze in das Quartier“. Das ist auch das Anliegen der Baugruppe Südwestsonne GBR.

Von Anfang an war den Mitstreitern klar, dass sie nicht allein bauen wollen, sondern in einer Gruppe. Und das aus gutem Grund: „Investoren schlagen immer Geld auf den Kaufpreis der Häuser“, sagt Angelika Drescher vom Netzwerk Berliner Baugruppenarchitekten (NBBA). „Zudem können die Mitglieder der Baugruppe jeweils selbst ihr privates Umfeld gestalten und bestimmen, wie ökologisch und nachhaltig sie später wohnen wollen.“ NBBA hat sich zum Ziel gesetzt, im Austausch mit Politik und Verwaltung die Grundlagen zur Entstehung von Baugemeinschaften zu verbessern und dem Prinzip Baugruppe in Berlin zu einer größeren Bedeutung zu verhelfen – ähnlich wie es Tübingen, Hamburg, Dresden und München schon erreicht haben.

„Uns geht es vor allem darum, dass Baugruppen nicht nur, verstreut über die Stadt, Baulücken füllen, sondern neue Quartiere zum Leben erwecken – mit gutem Städtebau, anspruchsvoller Architektur und engagierten Stadtbewohnern“, sagt Angelika Drescher, die sich gemeinsam mit Christian Schöningh auf die Projektsteuerung von Baugruppen spezialisiert hat und die Baugruppe Südewestsonne als Koordinatorin unterstützt.

Die neue Art des Bauens wird immer beliebter: In der Nachbarschaft der Baugruppe Südwestsonne gibt es gleich mehrere Baugruppen, wie die K9 und die K20. Die Mitglieder der Baugruppe Südwestsonne sind überzeugt, dass sich ihr arbeitsaufwendiger Ansatz auszahlen wird und sie in Zukunft selbstbestimmt in einer Gemeinschaft leben werden.