Der Weg zum goldenen Boden

In diesem Jahr feiert die „Perle“ ihren zehnten Geburtstag. Als die HandwerkerInnen-Agentur gegründet wurde, hätten viele ihren Werkzeugkasten darauf verwettet, dass sie nicht so alt werden würde. Doch die Agentur zeigte sich wandlungsfähig

von MATHIAS BECKER

Das Agenturwissen der „Perle“ passt auf einen Bierdeckel. Ein Stück Papier, nicht größer als eine Spielkarte, beidseitig mit Telefonnummern bedruckt und laminiert: Mehr braucht Annette Albinus nicht, um ihren Laden am Laufen zu halten. Der Rest ist Kommunikation.

Annette Albinus vermittelt Aufträge an Handwerkerinnen und Handwerker. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Chemie zwischen Auftraggeber und -nehmer. „Wenn ich einen Auftrag am Telefon entgegennehme, weiß ich nach kurzer Zeit, wen ich da hinschicken muss“, sagt sie, schließt die Augen und schiebt sich die Hand wie ein Visier vors Gesicht. „.Ich sehe quasi, mit wem ich da spreche. Also weiß ich auch, wer den Auftrag bekommt.“ Dann muss sie nur noch eine der Nummern aus ihrer handlichen Telefonliste wählen.

„Manche Menschen haben echt schlimme Erfahrungen mit Handwerkern gemacht“, sagt die gelernte Tischlerin. Wortlos bis herablassend gäben sich ihre männlichen Kollegen schon mal, insbesondere gegenüber weiblichen Kunden. Nach dem Motto: „Schnucki, ich mach‘ das schon.“ Und dann gebe es noch die, die nicht zurückrufen, wenn sie einen Auftrag nicht annehmen können. Sie ließen den Kunden einfach in der Luft hängen.

Was fehlende Kommunikation und schlechte Manieren zerstörten, lasse sich auch durch Fachkenntnis nicht reparieren, meint die 40-Jährige und setzt alles daran, Missverständnissen vorzubeugen und Probleme auszuräumen. Also spricht sie mit jedem Kunden die Auftragsdetails telefonisch durch und garantiert, dass sich binnen 24 Stunden ein Betrieb meldet. Sind die Arbeiten beendet, ruft sie noch einmal an und erkundigt sich nach der Zufriedenheit der Kunden.

Schon als junge Tischlerin hat Annette Albinus zuerst das Wort und dann das Werkzeug ergriffen. Schnell zeigte sich, dass so viele Fehler vermieden werden konnten. „Das kam richtig gut an“, sagt sie heute. Dann wurde sie Mutter und konnte nicht mehr nach Lust und Laune auf Baustellen herumturnen. Ihre Erfahrungen wollte sie aber auch nicht einfach einmotten. Also gründete sie gemeinsam mit ihrer Freundin und Kollegin Astrid Bah Deutschlands erste Agentur zur Vermittlung von Handwerkerinnen.

Das war 1999 und viele männliche Kollegen tippten sich an die Stirn, als sie davon erfuhren. Doch auch viele Kolleginnen waren skeptisch. Denn wer die Werkbank gegen den Schreibtisch eintauscht, führt gefühlte Hierarchien ein. Und gerade die einzureißen, war ja ein Anliegen vieler Frauen im Handwerk. „Da gab es schon einige, die damit nichts zu tun haben wollten“, sagt Albinus.

Dennoch: Es überwog die Begeisterung in der Zunft – und schnell scharte die Perle die ersten Handwerkerinnen um sich. Mit einer Kiste Faltblätter unterm Arm marschierten die beiden Gründerinnen monatelang systematisch von Briefkasten zu Briefkasten und von Viertel zu Viertel. Marketing in Handarbeit eben. Kurze Zeit später stand die Presse auf der Matte: Fachmagazine, bunte Blättchen und große Tageszeitungen berichteten über das kühne Unternehmen. Ein Innovationspreis ließ nicht lange auf sich warten. Die goldene Ära der Perle brach an. Bald waren so ziemlich alle denkbaren Gewerke im Pool der Agentur vertreten – von der Klempnerin bis zur Geigenbauerin. „Der Rekord waren über 80 Betriebe“, erzählt Albinus.

Doch schnell wurde klar, dass weder die Perle, noch ihre Vertragspartner dauerhaft von dem Netzwerk profitieren konnten. Einigen konnte nicht ein einziger Auftrag vermittelt werden. Und die Leistungen der Agentur wurden auf Provisionsbasis bezahlt. Die Rettung war ein Geschäftsmodell auf der Grundlage fester Beiträge. „Als wir das eingeführt haben, trennten sich die meisten Betriebe von uns.“ Übrig blieb ein kleines, aber enges Netzwerk – aber für zwei warf die Agentur noch immer nicht genug ab und so entschloss Astrid Bah sich schließlich, auszusteigen.

Seit anderthalb Jahren führt Albinus die Agentur jetzt alleine. Immer noch mit dem Schwerpunkt „Frauen im Handwerk“ – aber längst vermittelt sie auch Männer. Die Jüngeren unter ihnen hätten das langsam drauf mit der Kommunikation, sagt sie. Und was zähle, sei Qualität. Neben ihrer Arbeit am Hörer nutzt sie die kleinen Räume in der Margaretenstraße 68 auch als Laden. Unter dem Titel „Regionale Wertarbeit“ verkauft sie Kleidung und Accessoires, von Schneiderinnen zu einem ehrlichen Stundensatz produziert.

Künftig will Albinus verstärkt HandwerkerInnen coachen, Hochschulen laden sie ein, über ihre Gründungserfahrungen zu sprechen. „Die Jahre mit der Perle waren eine Berg- und Talfahrt“, sagt sie. Sogar die eigene Steuerberaterin hat ihr mal geraten, das Handtuch zu werfen. Aber Annette Albinus ist keine, die schnell aufgibt. Sonst wäre sie wohl nicht Tischlerin geworden.

Im Internet unter: www.perle-hh.de