Chai ist der neue Trend

Die Teehändler in Hamburg, der europäischen Teemetropole, interessieren sich mehr für Raffinesse. Ein Streifzug durch die Kontore, wo erfahrene Gaumen Geschmacksnuancen erschmecken, von denen die Masse der Teetrinker keine Ahnung hat

Einen teuren Wein mische man ja auch nicht mit Cola, sagt Robert Scheibler

VON SEBASTIAN BRONST

Dicht an dicht stehen die kleinen weißen Schalen in einer endlosen Reihe. In allen Schattierungen von Dunkelbraun bis Rot schimmert der frisch gebrühte Tee darin, sein aromatischer Duft durchzieht den großen hellen Kontorraum im vierten Stock des alten Backsteinbaus der Patriotischen Gesellschaft. Hier, direkt neben einem Fleet und nur einen Steinwurf vom Hamburger Rathaus entfernt, macht sich der Tester der Handelshauses J. Fr. Scheibler wie jeden Tag konzentriert an die Arbeit.

Dutzende Schwarztees aus Kenia und Uganda wiegt der Profi heute mit seiner kleinen silbernen Handwaage ab. Exakt 2,86 Gramm wiegt jede einzelne Probe, so viel wie eine britische Six-Pence-Münze – dem weltweiten Standardmaß im traditionsbewussten Teegeschäft. Fünf Minuten zieht das Produkt, dann beginnt die eigentliche Arbeit des Testers: Schlürfend kostet er den Tee an dem langen Probiertisch und spuckt ihn sofort in einen großen Kupferkübel. Sekundenbruchteile reichen Experten, um sämtliche Geschmacksnuancen zu analysieren und die Verwendungsmöglichkeiten des getesteten Tees einzuschätzen.

„Ein Laie würde da keinen Unterschied schmecken“, sagt Firmenchef Robert Scheibler, 46, ein hochgewachsener freundlicher Hanseat. Erst mit jahrelanger Erfahrung verdichten sich die Sinneseindrücke in Mund, Nase und Auge zu einem brauchbaren Bild. An diesem Morgen geht es um Teebeutel für den britischen Markt. Massenware also, aber dem Zufall wird auch dabei nichts überlassen. Engländer trinken Tee mit Milch, kräftig und aromatisch sollte er daher sein. Und je roter die Farbe des Tees in der Tasse nach dem Brühen ist, desto edler wirkt er und desto teurer kann er wieder verkauft werden. In Deutschland wäre ein solcher Tee kaum gefragt. „Hier sind eher leichte und blumige Tees gefragt – und aromatisierte Sorten.“

Knapp 250 Gramm Tee konsumiert ein Deutscher durchschnittlich pro Jahr. Das ist wenig im Vergleich zu den rund sechs Kilo Kaffee, die er im selben Zeitraum verbraucht. Sieht man von den Ostfriesen ab, die eine einzigartige Kultur rund um das Heißgetränk entwickelt haben, ist Deutschland eher Tee-Entwicklungsland. Dennoch ist Hamburg ein wichtiges Zentrum. Zusammen mit Rotterdam und Bremen versorgt die Hansestadt einen Großteil des europäischen Kontinents mit Tee.

„Hamburg ist die Teemetropole Europas“, sagt Monika Beutgen, Geschäftsführerin des Deutschen Teeverbands. Im Hamburger Hafen treffen die Ladungen aus aller Welt ein, dort wird die Ware zu Kilopreisen zwischen einem und knapp 2.000 US-Dollar gehandelt, gemischt und teilweise aromatisiert. Ein rundes Dutzend meist alteingesessener Händler versorgt die Märkte zwischen Skandinavien und Osteuropa. Teehandel ist ein kapitalintensives, langsames Geschäft ohne große Gewinnmargen, in dem sich Newcomer nur selten erfolgreich etablieren.

„Es ist ein faszinierendes Geschäft. Kaum ein Tag ist wie der andere“, sagt Rainer Schmidt, seit rund 40 Jahren als Teehändler aktiv. Schätzungsweise 30.000 bis 35.000 Teegärten gibt es weltweit, in Indonesien, China, Indien, Ostafrika oder Südamerika. Schon der Geschmack der Blätter einer Plantage kann je nach Erntezeitpunkt variieren. Und diese Bandbreite der Aromen ist es, die den Handel und die Verarbeitung von Tee so aufwändig macht. „Tee ist ein Naturprodukt“, sagt der 63-Jährige, der sich mit seiner Firma Hansetee vor allem auf schwarze und grüne Sorten spezialisiert hat.

Die Fans des grünen und schwarzen Tees sind in Deutschland jedoch eine Minderheit. Der größte Umsatz wird mit den Gelegenheits-Trinkern gemacht, und die greifen gern zu aromatisierten Tees, die es seit den 1970er Jahren in zunehmend mehr Geschmacksrichtungen gibt. Dominierten lange vor allem diverse Frucht- und Kräuterteemischungen, kommen in letzter Zeit kräftige und exotische Gewürze in Mode – der so genannte Chai-Tee. „Chai heißt definitiv der neue Trend“, sagt Händler Schmidt, den die neue Lifestyle-Mode allerdings nicht sonderlich zu interessieren scheint. „Ich bin schon einige Jahre im Geschäft, da hat man schon einiges kommen und gehen sehen.“

Auch bei ihren persönlichen Trinkgewohnheiten setzen Teehändler meist weniger auf Experimente als auf Qualität und einige besondere Sorten. „Ich bin Purist“, kommentiert Robert Scheibler die fortwährende Suche des Marktes nach neuen Geschmackserlebnissen. Zwar kreiert auch seine Firma gelegentlich mithilfe von Aromen eine bunte Mischung, um den Kundenwünschen zu entsprechen. Aber er selbst zieht das Einfache vor. Eine teuren Wein mische man ja auch nicht mit Cola.

Kollege Schmidt schwärmt von feinem halb fermentierten Oolong-Tee oder einem zarten Darjeeling. Wenn man wisse, mit welcher Hingabe bestimmte Tees kultiviert würden, dann könne man diese nicht guten Gewissens mit Zusätzen wie Mango-Öl verfälschen, sagt er: „Ich bin nicht gerade ein Freund von Aromen. Aber andere verdienen damit sehr viel Geld.“

Bio spielt im Teehandel bis heute keine bedeutende Rolle. Vielleicht 100 bis 120 Teegärten wirtschafteten nach biologischen Gesichtspunkten, schätzt Schmidt. Bei den meisten stimme aber die Qualität nicht. „Das ist leider ein Problem.“

Sorgen macht dem Tee-Experten die im globalen Teehandel seit längerem drohende Standardisierung. Große Abnehmer drängen darauf, die Geschmacks- und Qualitätsschwankungen des komplizierten Naturprodukts zu minimieren und so die Herstellung ihrer Produkte zu vereinfachen. Zustände wie im Kaffeehandel, in dem fünf oder sechs Sorten den globalen Markt dominieren, aber wären für Schmidt ein Graus – zu groß wäre der Verlust an Geschmacksvielfalt. „Wir kämpfen seit 25 bis 30 Jahren dagegen an“, sagt er. Für einen Teeliebhaber sei es doch gerade spannend, den eigenen Geschmack zu entdecken und sich immer wieder auf Neues einzulassen. „Ein bisschen ist es wie beim Wein. Man muss sich erst mal durchkosten.“