War Gott ein Sadist – oder alles gar nicht so gemeint?

THEOLOGIE Der deutsche Protestantismus diskutiert: Ist die alte Sühnetod-Theologie noch zeitgemäß?

Für Martin Luther war die Sache Anfang des 16. Jahrhunderts noch klar. In seinem Katechismus schreibt er, Jesus habe „mich verlornen und verdammten Menschen erlöset … mit seinem heiligen teuren Blut und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben“. Er kann sich dabei auf Paulus berufen, der betont, Gott habe Jesus bestimmt, Sühne zu leisten mit seinem Blut (Römerbrief, 3,25) – wenn man will, auch auf Jesaja, der verkündet (53,5): „Zu unserem Heil lag die Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt.“ Und da ist noch der Artikel 4 des Augsburger Bekenntnisses von 1530: „Wir glauben, dass Christus für uns gelitten hat und dass uns um seinetwillen die Sünde vergeben, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt wird“, so heißt es da.

Dies sind Hauptpfeiler einer Sühneopfer-Theologie. Und sie gehörte jahrhundertelang, etwa seit Anselm von Canterbury (1033–1109), zum Kern des christlichen Glaubens. Doch pünktlich zum Kirchentag debattieren deutsche Protestanten mal wieder um Wesentliches – oder um das, was sie dafür halten. Die Kritiker dieses Sühneopfer-Gedankens glauben nämlich: Hinter ihm stecke doch ein grausames, brutales, ja sadistisches Gottesbild, das mit moderner evangelischer Theologie nichts zu tun habe. Wohl am weitesten geht dabei der emeritierte evangelische Theologieprofessor Klaus-Peter Jörns. Der meint, die Sühnetod-Lehre passe gar nicht zur Verkündigung Jesu: „Zu sühnen braucht niemand etwas, der an Gottes Liebe glaubt und um Vergebung bittet.“ Auch der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, stimmte ihm da zu. Der Leiter der zweitgrößten Landeskirche der EKD sagte im Magazin chrismon: Jesus sei nicht für ihn gestorben, jedenfalls „nicht im Sinne einer stellvertretenden Übernahme von Strafe“.

Da es im Protestantismus kein oberstes Lehramt gibt, wird niemand entscheiden, wer nun recht hat – die Sühneopfer-Sadisten oder die Alles-nicht-so-gemeint-Christen, um es böse zu sagen. Die Debatte zeigt aber, wie weit das Spektrum des evangelischen Glaubens in Deutschland schon ist. Manche nennen das Vielfalt. Und die könnte durchaus angemessen sein: Schon in der Bibel selbst gibt es ganz unterschiedliche Interpretationen des Kreuzestodes Jesu. PHILIPP GESSLER