„Auf blutigem Boden“

GRENZSTEINTROPHY Dass vor 20 Jahren die ersten Betonplatten aus der Mauer krachten, wird nun mit einer Fahrradrallye gewürdigt

 Gunnar Fehlau liebt es grenzenlos: Der 36-jährige Fahrradexperte und Autor einschlägiger Fachbücher wird am 24. Juni an den Start gehen.

 Seine Herausforderung: die erste Grenzsteintrophy (GST), eine Radtour entlang der ehemaligen innerdeutschen Grenze als sportliche Gedenkveranstaltung.

 Die GST: startet am 24. Juni in Priwall an der Ostsee und folgt fast dem gesamten Verlauf der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze.

Wer sich die 1.250 Kilometer zutraut, kann mitfahren.

www.grenzsteintrophy.de

INTERVIEW HELMUT DACHALE

taz: Herr Fehlau, immer der Grenze nach – ist GST ein Radrennen auf neuen Wegen, „Deutschland sucht die Superwade“? Oder soll demonstriert werden, wie anstrengend Erinnerungsarbeit in der Praxis sein kann?

Gunnar Fehlau: Superwade alleine wäre superschade, denn wir veranstalten kein Rennen, wir wollen die alte Grenze verhöhnen. Wir werden mindestens eine Woche auf ihr herumtreten. Keine Worte, keine Verhandlungen. Nur Gewalt für eine ehemalige Gewalttätige. Auf dass sie nie wieder auferstehen kann.

Werden Sie die alte Grenze überhaupt finden? Der Verlauf ist vielerorts doch kaum noch zu erkennen, die Natur wuchert, von einem ausgeschilderten Radfernweg kann keine Rede sein.

Eifrige Mountainbiker haben die Strecke bereits teilweise abgefahren, den Rest haben wir auf Google Earth zu einem GPS-Track zusammengeklickert. Was vor 20 Jahren noch Sperrbezirk war, kann man heute bequem am Laptop auf fünf Meter heranzoomen.

Aber für unterwegs muss es dann schon ein Mountainbike sein?

Müssen gab es vor 20 Jahren auf diesem Streifen, jetzt ist das Wollen Pflicht. In einem Internetforum wurde heftig diskutiert, weil jemand mit einem alten Klapprad mitfahren wollte und andere dies als Beleidigung für echte Sportler ansahen. Wir haben prompt und unmissverständlich reagiert und einen Ehrenpreis ausgelobt: Wer die GST mit einem Einkaufswagen fährt, erhält 500 Euro.

In wie viel Tagen wird das Hauptfeld die Strecke schaffen?

Schwer zu sagen, wer 200 Kilometer am Tag fahren will, muss sich schon ins Zeug legen. Ich würde sagen, nach spätestens 14 Tagen sind alle am ehemaligen Dreiländereck angekommen. Dort endet die GST, bei Mittelhammer im Vogtland.

Bleibt da überhaupt Zeit für die Gedenkminute zwischendurch?

Das kann jeder selbst entscheiden. Sicher ist, dass wir auf blutigem Boden unterwegs sind und sich dies nicht mit einem abgesperrten Kurs vergleichen lässt. Wir werden beim Start gemeinsam zu einem der letzten Grenzsteine am Strand bei Priwall fahren. Das ist bestimmt ein guter Ort des Gedenkens. Dann zelebrieren wir über 1.250 Kilometer die Freiheit auf dem ehemaligen Todesstreifen. Es gibt keinen besseren Ort, um zu zeigen, dass auf lange Sicht nur Meinungs- und Bewegungsfreiheit stabil sind.

„Self-Support-Riding“ ist gefordert, die solidarische Selbstversorgung vom ersten bis zum letzten Meter. Warum auch noch diese Härte?

Wir werden beim Start gemeinsam zu einem der letzten Grenzsteine fahren. Das ist ein guter Ort des Gedenkens

Das ist keine Härte, sondern Freiheit. Zuerst einmal für uns: Wir wollen selbst mitfahren und nicht Rennorganisator sein. Zweitens kann Sport nur noch ehrlich sein, wenn man ihm das Geld entzieht. Nur wenn die Motivation rein intrinsisch ist, funktioniert das moralische Gefüge eines Menschen. Sich selbst betrügt man zuletzt. Und außerdem sorgen nur Selbstversorgerfahrten für echte Gleichheit. Deshalb gilt: Bestimme selbst, was du brauchst, um die GST zu meistern. Packe es ein oder kaufe es unterwegs.

Also gibt es auch nichts zu gewinnen, weder ein Preisgeld noch eine Erinnerungsmedaille?

Oh doch, es gibt richtig was zu gewinnen: ein großes Abenteuer vor der Haustür. Wer braucht da Preisgelder? Höchstens der Einkaufswagenfahrer.

Wie viele Menschen werden mitfahren?

Anfangs dachten wir an sechs bis zehn Fahrer. Aber kaum hatten wir unsere Website im Netz, hatten wir die auch schon gefunden. Wenn alles so weitergeht, rechne ich mit etwa 20 Leuten. Hobbyfahrer, aber auch ein weltbekannter Extremsportler und eine Single-Speed-Mountainbikerin sind darunter, ein unrepräsentativer und zugleich höchst interessanter Querschnitt durch die radelnde Gesellschaft.