Eine Frage der Auslegung

VERSAMMLUNGSRECHT Nach Bayern will sich nun auch Niedersachsen ein eigenes Demo-Gesetz für den Kampf gegen Rechts geben. Die anderen Nord-Länder warten ab, Bürgerrechtler warnen vor Grundrechteabbau

„Wenn Trommeln Nazi-Gedankengut widerspiegeln, dann ist das ein Symbol für Unfriedlichkeit“

Von Christian Jakob

Fast jedes Wochenende marschieren irgendwo in Deutschland Rechte auf. Um ihre Propagandaschauspiele zu erschweren, arbeiten derzeit mehrere Länder an eigenen Versammlungsgesetzen. „Unsere Stoßrichtung ist, dass es künftig einfacher wird, gegen Rechtsextreme vorzugehen,“ sagt etwa der Sprecher des CDU-geführten niedersächsischen Innenministeriums, Klaus Engemann. Die Versuche der NPD durch das Brandenburger Tor zu marschieren, hätten gezeigt, „dass vieles da bisher nicht gegriffen hat.“

Bisher regelte das Versammlungsgesetz des Bundes alle Einschränkungen der Versammlungsfreiheit. Erst die Föderalismusreform von 2006 gestattete es den Ländern, sich eigene Gesetze zu geben. Zwar hatte der Bundestag im März 2005 bereits eine Verschärfung des Versammlungsrechts beschlossen. Dennoch sehen viele Länder die Reform als Gelegenheit, die Schrauben beim Versammlungsrecht anzuziehen.

In Bayern trat 2008 das erste Landesversammlungsgesetz in Kraft. Doch die erweiterten Kompetenzen für die Polizei, die „anlasslos mögliche Bildaufzeichnung des gesamten Versammlungsgeschehens“ oder die Möglichkeit, Anmelder für die Straftaten von Versammlungsteilnehmern zu belangen, sorgten für Proteste. Opposition, Gewerkschaften und Verbände legten Verfassungsbeschwerde ein. Im Februar bekamen sie einstweilig Recht. Das Verfassungsgericht beklagte besonders die Erlaubnis, unbeschränkt zu filmen – bisher war dies nur bei konkretem Straftatverdacht möglich.

Nun fürchten viele, dass Bayerns Linie bundesweit zum Vorbild genommen wird. „Das soll sich gegen Nazis richten, öffnet aber der Repression gegen alle Demonstrierenden Tür und Tor,“ sagt etwa die Bremer Anwältin Gilljen Theisohn. So würde sich unter solchen Umständen kaum noch jemand als Anmelder zur Verfügung stellen. Sambagruppen oder Clownskostüme könnten unter das Trommel- und Uniformverbot fallen, die mögliche Videoaufzeichnung Menschen gar von Demos fernhalten, glaubt Theisohn. In Hannover gründeten Antifa, SPD-ler und Hacker 2008 das „Bündnis gegen das neue Niedersächsische Versammlungsgesetz“ – auch sie fürchten einemassive Einschränkung der Bürgerrechte und wollen gegen „Überwachungswahn“ protestieren.

In Hannover weist man die Bedenken zurück. Das neue Gesetz werde sich weitgehend am alten Bundesgesetz orientieren. „Es wird auch keine eigene Regelung gegen Trommeln und Pfeifen geben, und um Clowns wegen des Uniformverbots zu verbieten, muss man schon viel Fantasie haben,“ sagt Sprecher Engemann. Und doch: Das im niedersächsischen Entwurf vorgesehene „Gebot der Waffenlosigkeit und der Friedfertigkeit“ lässt den Behörden weiten Spielraum. Es umfasst nämlich laut Engemann etwa das Uniformierungsverbot. Darunter können aber auch Trommeln, Pfeifen und andere Dinge fallen. Die seien zwar keine Waffen, könnten aber „in gewissen Kontexten als unfriedliche Symbole“ gelten, sagt Engemann. „Trommeln sind zunächst mal zulässig, wenn aber nachgewiesen wird, dass Nazis damit nationalsozialistisches Gedankengut widerspiegeln, dann ist das ein Symbol für Unfriedlichkeit“ – und kann deshalb verboten werden. „Wenn aber ein paar Leute da einfach nur rumtrommeln, greift das natürlich nicht.“ Ob Niedersachsen auch an anderen Stellen das Demorecht verschärft, zeigt sich im Herbst – da berät der Landtag den Entwurf.

Die anderen Nord-Länder sind in Wartestellung. Im schwarz-grünen Hamburg sei „über das über das ob und wie einer eigenen Landesgesetzgebung noch nicht entschieden,“ sagt der Sprecher der Innenbehörde, Thomas Butter. In Bremen hat sich Rot-Grün per Koalitionsvertrag verpflichtet, ein Versammlungsgesetz zu erlassen, „um den antifaschistischen Auftrag der Landesverfassung zu erfüllen“. Das Justizministerium in Kiel konnte auf Anfrage nicht sagen, ob das Innenressort einen Gesetzentwurf plant.