Gemeinsam statt allein

SORGERECHT Nach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts steht eine gesetzliche Neufassung des Familienrechts an. Ob unverheiratete Väter dabei prinzipiell das gemeinsame Sorgerecht erhalten, ist allerdings noch ungewiss

Viele wollen nach einer Trennung am liebsten gar nichts mehr mit dem anderen zu tun haben. Doch bei einem gemeinsamen Kind hat man zu seinem Wohle die Verpflichtung, ein Leben lang miteinander Kontakt zu halten

VON OLE SCHULZ

Für unverheiratete Väter, die ihrem Kind ein zweites Zuhause bieten und regelmäßig Unterhalt zahlen, soll es nach zwei Gerichtsurteilen leichter werden, das gemeinsame Sorgerecht zu erhalten. Auch Bundesfamilienministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat bereits im Vorjahr angekündigt, das Familienrecht in dieser Legislaturperiode entsprechend ändern zu wollen.

Bisher hat eine ledige Mutter in Deutschland automatisch das alleinige Sorgerecht – ein gemeinsames Sorgerecht bedarf ihrer ausdrücklichen Zustimmung. Wann es tatsächlich zu einer Gesetzesreform kommen wird und wie diese konkret aussehen soll, ist derzeit noch unklar. Das hängt auch damit zusammen, dass das Terrain des Sorgerechts heftig umkämpft ist.

Den Stein ins Rollen brachte eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes Ende vergangenen Jahres: Die Straßburger Richter entsprachen der Klage eines 45-jährigen Vaters und beanstandeten, dass er in Deutschland keine Chance auf eine gerichtliche Einzelfallprüfung habe. Dabei beriefen sich die Richter unter anderem auf das Diskriminierungsverbot in der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Im Juli diesen Jahres folgte eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts, welche die bisherige Regelung für verfassungswidrig erklärte und den Vorrang unverheirateter Mütter kippte: Jetzt können Mütter ohne Trauschein das Sorgerecht des Vaters für das gemeinsame Kind nicht mehr generell verweigern, und die Familiengerichte müssen Vätern das gemeinsame Sorgerecht gewähren – wenn es denn dem „Kindeswohl“ entspricht.

Zum Wohle des Kindes, die Klärung dieses Sachverhalts wird wohl auch eine neue gesetzliche Regelung nicht so definieren können, dass es darum in Zukunft keinen Streit mehr gibt.

Doch Susanne Farrahe, Berliner Anwältin mit dem Tätigkeitsschwerpunkt Familienrecht, hält eine Anpassung des deutschen Familienrechts an die Lebenswirklichkeit gleichwohl für sinnvoll. Mittlerweile kommt hierzulande immerhin rund ein Drittel aller Kinder außerhalb einer Ehe zur Welt.

Kommt es bei diesen Paaren zu Trennungen oder Streit, dann seien es nach Farrahes Erfahrung „oft die Mütter, die sich beim Sorgerecht querstellen“. Farrahe hält in solchen Fällen auch die Anwendung von Zwangsmitteln für angebracht. Noch schlimmer sei es, wenn Mütter bei der Frage des Umgangsrechts eine Verweigerungshaltung einnehmen, so Farrahe. „Es bringt den Müttern ja meist auch nichts, weil sie dann alles ganz allein machen müssen.“

Nach Trennungen werden Männer oft zu „Zahlvätern“

Unstrittig ist aber auch: Weiterhin ist es eine Minderheit von Vätern, ob ledig oder verheiratet, die nach einer Trennung eine gleichberechtigte Kindesbetreuung anstreben – die große Mehrheit sind „Zahlväter“, sie leisten also ihre Unterhaltszahlungen, kümmern sich aber persönlich nur wenig um ihre Kinder. Wenn nun die Rechte von Vätern ohne Trauschein verbessert werden sollen, dann wird der Minderheit der sogenannten „neuen Väter“ der Rücken gestärkt.

Ein Problem beim Streit ums Sorgerecht ist aber geschlechterunabhängig: Gerade bei schmerzhaften Trennungen spielten häufig verletzte Gefühle eine fatale Rolle, sagt Anwältin Farrahe. Viele wollen nach einer Trennung am liebsten gar nichts mehr mit dem anderen zu tun haben. Doch bei einem gemeinsamen Kind habe man zu seinem Wohle, so Farrahe, „die Verpflichtung, ein Leben lang miteinander Kontakt zu halten“.

Viele ehemalige Partner würden nach Trennungen oder Scheidungen aber eben „nicht mehr vernünftig miteinander kommunizieren“. Ansätze, solche Streithähne prinzipiell erst einmal zur Mediation zu schicken, hält Farrahe für sinnvoll, schränkt aber zugleich ein: „Es bringt nichts, jemanden dazu zu zwingen, der das nicht will.“ Farrahe wünscht sich daher, dass mehr Beteiligte „die eigene Sichtweise in Frage stellen und externe Hilfe in Anspruch nehmen“.

Immerhin sieht Farrahe ein allmähliches Umdenken bei den Berliner Richtern, die über das Sorgerecht entscheiden. „Mittlerweile gucken die schon genauer hin, lassen das Kind selber zu Wort kommen und tauschen sich mit den Jugendämtern aus, ob es nicht besser wäre, beiden das Sorgerecht zu geben, als automatisch die Mutter vorzuziehen.“

Doch das Bundesjustizministerium (BMJ) scheint sich mit dem Schritt schwerzutun, ein gemeinsames Sorgerecht auch bei ledigen Paaren gesetzlich zu verankern – so wie es bereits in den meisten europäischen Ländern der Fall ist. Die Veröffentlichung einer im Frühjahr vom BMJ in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Untersuchung zum Thema verzögert sich jedenfalls.

Das habe vor allem damit zu tun, dass es sich als schwieriger als erwartet erwiesen hätte, die dafür „unverzichtbaren Erkenntnisse“ zu gewinnen, teilt die BMJ-Pressestelle auf Anfrage mit. In dem unveröffentlichten Zwischenbericht zeichnet sich aber ab, dass man eine generelle Gewährung des gemeinsamen Sorgerechts bei zusammenlebenden unverheirateten Paaren für angebrachter hält als bei getrennt lebenden.

Schleppende Umsetzung europäischen Rechts

Laut Anwältin Farrahe ist die schleppende Umsetzung des Straßburger Urteils bezeichnend für die oft langsame Anpassung an europäische Rechtsvorgaben. Das liege nicht zuletzt daran, dass sich Gesetzgebungsverfahren hierzulande häufig endlos in die Länge ziehen, weil unzählige Ausnahmeregelungen berücksichtigt würden. Dass die Ehe im Grundgesetz besonderen Schutz genieße, mache eine moderne Auslegung des elterlichen Sorgerechts zudem auch nicht einfacher.

Wie schwierig die Entscheidung über das Sorgerecht im konkreten Einzelfall sein kann, hat sich schon im ersten Urteil nach dem Beschluss der Karlsruher Verfassungsrichter gezeigt: Ende August lehnte das Brandenburger Oberlandesgericht (OLG) den Antrag eines Vaters auf Erteilung des Sorgerechts ab, obwohl sich dieser nach der Trennung nachweislich intensiv um seinen Sohn gekümmert hatte, als die Kindesmutter an manischer Depression erkrankte und längere Zeit im Krankenhaus war.

Dass sich die Richter gegen den Antrag des Vaters entschieden, lag in erster Linie daran, dass beide ehemalige Partner die alleinige Sorge für sich reklamierten und sich darauf beriefen, mit dem jeweils anderen Elternteil „nicht mehr kommunizieren zu können bzw. zu wollen“. Nach Abwägung aller Umstände sprach das OLG Brandenburg schließlich der Mutter das alleinige Sorgerecht zu.