„Very Qualified“

INTERNATIONALE ORGANISATIONEN Die EU und die UN bieten spannende Karrierewege – nicht nur für Juristen und WiWis. Häufig ist das Aufspüren von „Vacancies“ aber eine mühsame Sisyphusarbeit

■ European Space Agency (ESA): www.esa.int; Karriere: www.esa.int/careers

■ Gaia-Mission der ESA: www.esa.int/ esaSC120377_index_0_m.html

■ Jobpool von ZAV und Auswärtigem Amt: www.jobs-io.de; www.bfio.de

■ Carlo-Schmid-Programm des DAAD: www.csp-network.org

■ European Commission Joint Research Centre: ec.europa.eu/dgs/jrc/index.cfm

■ EU-Jobportal: www.eu-careers.eu

■ European Southern Observatory (ESO): www.eso.org

■ Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW): www.opcw.org

■ UN-Agency for Information and Communication Technology Issues (ITU): www.itu.int

■ Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO): www.fao.org

■ Zentrum für internat. Friedenseinsätze (ZIF): www.zif-berlin.de

VON BIRGIT HEITFELD

Bereits als Kind hat „Junior-Commander“ Florian Renk mit seinen Lego-Raumschiffen den Weltraum unsicher gemacht, doch bis zum Berufseinstieg als promovierter Luft- und Raumfahrtingenieur bei der European Space Agency (ESA) in Darmstadt war es ein relativ weiter Weg. „Während des Studiums, als ich mein Wissen vertiefen und hinter die Kulissen blicken konnte, ist die Begeisterung durchgeschlagen“, sagt der 31-Jährige, der heute im Bereich Missionsanalyse tätig ist.

Konkret arbeitet Renk mit daran, die Flugbahnen für Satelliten zu optimieren, zum Beispiel für Gaia. Die für Ende 2012 geplante ESA-Weltraummission soll helfen, einen neuen Sternenkatalog zu erstellen. „Meine Arbeit ist extrem vielfältig, und oft plant man am Rande des Machbaren.“ Viele von Renks früheren Kommilitonen der Uni Stuttgart haben sich für das Näherliegende, eine Tätigkeit in der Industrie, entschieden, etwa im Automobilsektor. Dabei bieten europäische Organisationen sowie die Vereinten Nationen spannende Karriereoptionen für Ingenieure – nicht nur für Juristen und Wirtschaftswissenschaftler. Auch für Sternenforscher gibt es gute Stellen, so etwa in der chilenischen Atacama-Wüste. Dort betreibt die Europäische Südsternwarte ESO Spitzenforschung. Bis 2020 soll dort E-ELT, das neue European Extremely Large Telescope, installiert werden. Die Großteleskop-Anlage mit den Ausmaßen eines Fußballstadions soll helfen, bis zu 500 Lichtjahre entfernte Sonnensysteme zu erforschen. „In den kommenden Jahren entstehen bei uns mehr Jobs“, so Sprecher Lars Christensen in der Münchner Zentrale. Bislang wurde die ESO von 15 meist europäischen Mitgliedern betrieben. „Seit 2010 ist Brasilien dabei; drei weitere Länder sind im Gespräch. Es gibt also auch mehr Forschungsgelder.“

Die Freude, sich in neue Themen einzuarbeiten, Interesse an anderen Kulturen, Kommunikationsgeschick und politisches Fingerspitzengefühl sind für die Arbeit bei internationalen Organisationen das A und O. Eigenbrötlerische Genies haben keine Chance. Friedensnobelpreisträger Mohammed El-Baradei, früherer Chef der UN-Atomenergie-Organisation IAEO, schaffte akademische Titel ebendort ab.

„Ich finde es faszinierend, in so einem internationalen Team und mit Topexperten aus ganz Europa zusammenzuarbeiten“, sagt Florian Renk. Er hatte bereits als Student in Stuttgart die Möglichkeit, sich bei dem Satellitenprogramm SSETI (Student Space Exploration and Technology Initiative) mit 200 Studenten aus zwölf Ländern zu engagieren, das von der ESA unterstützt wurde. Für seine Diplomarbeit zum Thema „Magnetische Lageregelung von Mikrosatelliten“ recherchierte er neun Monate lang in Sydney. Die anschließende Dissertation, eine „Untersuchung der erdnahen Librationspunkte zur Nutzung bei Explorationsmissionen“ erfolgte wiederum in Stuttgart. „Wenn man sich für eine Karriere in der Raumfahrt interessiert, sollte man sich ganz, ganz früh bei der ESA informieren und Praktikumsmöglichkeiten nutzen.“ Für Hochschulabsolventen gibt es jedes Jahr ein Traineeprogramm. Auch Ingenieure mit vier bis fünf Jahren Berufserfahrung haben Chancen. Renk hatte Glück und konnte direkt nach seiner Promotion anfangen.

Oft ist das Aufspüren von „Vacancies“ in internationalen Organisationen allerdings eine Sisyphusarbeit. Wer in diesen Kosmos eintritt, begegnet sonderbaren Abkürzungen, Formularen, Profilen und Organisationen, die jeweils auf ihrer eigenen Website die Jobs posten: ESA, ESO, FAO, Unep, Icao, Cern, OPCW oder CTBTO.

Um den Einstieg zu erleichtern, bieten die zentrale Arbeitsvermittlung BFIO und das Auswärtige Amt einen Service: Täglich durchforstet ein Mitarbeiter mit Metacrawlern alle relevanten Webseiten weltweit. Das Resultat findet sich komprimiert unter www.jobs-io.de. Die Suchmaschine hat es in sich. „Wir unterstützen Kandidaten bei ihrer Bewerbung“, sagt Julie Tumler von der BFIO. Arbeitsvermittlung und Auswärtiges Amt helfen checken, ob und wo es Chancen gibt, wie die richtige Botschaft im Anschreiben und im Lebenslauf sein muss. Ist die „Application“ unterwegs, wird verfolgt, ob sie punktgenau angekommen ist, gelesen wurde, wie es um den Bewerber steht – „Tracking“ wie beim Kurierdienst.

Es gilt die Regel: Qualifikation kommt immer vor Quote

Das eigentliche Ziel ist aber Lobbying. Das Auswärtige Amt will möglichst viele Bewerber deutscher Staatsangehörigkeit ins Rennen schicken. Beispiel Cern: Die europäische Organisation für Kernforschung in Genf, die physikalische Grundlagenforschung betreibt, wird von 20 Ländern finanziert. Mit 144 Millionen Euro bestreitet die Bundesrepublik 20 Prozent des jährlichen Etats. „Das entspricht 450 Stellen, aber momentan haben wir nur 180 Mitarbeiter deutscher Staatsangehörigkeit und große Probleme, qualifizierte Ingenieure aus Deutschland anzuwerben“, sagt Rüdiger Voss. Laut dem leitenden Wissenschaftler am Cern werden gleichwohl alle Stellen besetzt, unter anderem mit Ingenieuren aus südeuropäischen Ländern. Es gelte dabei die Regel: „Qualifikation kommt immer vor Quote.“

Weltweit arbeiten in europäischen Organisationen und der UN 5.676 Deutsche. Davon ist nur knapp jeder sechste offiziell von der Bundesrepublik entsandt, hat also eine Jobgarantie mit Rückflugticket. Alle anderen reisen auf eigenes Risiko, müssen sich mit Projekt- und Kurzzeitverträgen und der Arithmetik von Rotationen auseinandersetzen. Die meisten Stellen sind auf zwei oder maximal fünf Jahre befristet. Bei ESA und ESO etwa gibt es auch unbefristete Stellen.

Die Vergütung in internationalen Organisationen lässt sich aber meist nicht mit den Gehältern in der Industrie vergleichen. Trotzdem finden viele Hochschulabsolventen und Mid-Careers den multikulturellen Flair, die hochkarätigen Forschungsprojekte, das besondere Arbeitsumfeld und Prestige verlockend. Und viele wünschen sich nichts sehnlicher, als mit ihrer Bewerbung direkt auf der Shortlist zu landen – in einem Ordner mit dem sperrigen Akronym „VQ“ für: „Very Qualified“.