Blech überm Kopf

DAUERPROVISORIUM Nissenhütten waren Notunterkünfte nach dem Krieg. In Husum leben Bewohner seit Jahrzehnten gerne darin

Das Schwitzwasser verwandelte die Unterkünfte in Tropfsteinhöhlen

VON JOACHIM GÖRES

Für heutige Rentner sind sie das Symbol für das Elend der Nachkriegsjahre: Nissenhütten. Das sind Wellblechbaracken, die von den Briten überall in Nordwestdeutschland ab 1945 aufgebaut wurden, um die Wohnungsnot in den ausgebombten Städten zu lindern. Sie wurden ursprünglich für britische Soldaten im ersten Weltkrieg als Unterkunft entwickelt – eine längs halbierte Wellblechtonne, die von vier Personen in vier Stunden aufgestellt werden konnte.

Mehrere Familien lebten darin mit ihren oft zahlreichen Kindern auf engstem Raum zusammen, vor den Blicken der Nachbarn oft nur durch aufgehängte Tücher geschützt. Schlimmer als die fehlende Privatsphäre war die fehlende Isolierung. Das Schwitzwasser verwandelte die Unterkünfte in Tropfsteinhöhlen. Im Sommer war die Hitze kaum auszuhalten, im Winter kroch die Kälte trotz der aufgestellten Öfen in den Körper. In den 50er-Jahren verschwanden die Nissenhütten überall mit dem wirtschaftlichen Aufschwung.

Fast überall – im nordfriesischen Husum stehen im Birkenweg noch heute acht Nissenhütten. Die Ende der 40er-Jahre errichteten Gebäude erfreuen sich bei ihren Bewohnern großer Beliebtheit. Bis heute erhalten ist das runde, bis auf den Boden laufende Wellblechdach als Gebäudehülle, das bei Passanten erstaunte Blicke auslöst. „Die fragen, ob man runde Möbel hat oder an den Wänden überhaupt Bilder aufhängen kann. Ich bitte sie dann rein und sie sind überrascht, dass es drinnen nicht anders aussieht als in anderen Wohnungen“, erzählt Ilse Siegfriedt. Runde Wände gibt es – 1947 ließ die Kieler Baugenossenschaft „Heimstätte Schleswig-Holstein“ beim Bau senkrechte Innenwände und waagerechte Decken auf einer Höhe von 2,20 Metern einziehen und sorgte so für eine bessere Isolierung.

Die 77-Jährige Ilse Siegfriedt lebt mit ihrem zwei Jahre älteren Mann seit 1959 hier. Vier Jahre hatte sie nach ihrer Hochzeit bei den Schwiegereltern wohnen müssen, dann wurde die Nissenhütte im Birkenweg 25 samt Gelände für 10.000 Mark angeboten. „Für uns viel Geld damals, aber dennoch eine insgesamt günstige Möglichkeit, endlich in den eigenen vier Wänden leben zu können. Wir haben den Entschluss nie bereut“, sagt Johannes Siegfriedt. Der langjährige KFZ-Techniker hat in Eigenarbeit die elfeinhalb Meter lange und fast fünf Meter breite Nissenhütte so gut in Schuss gehalten, dass ihre Tage noch lange nicht gezählt zu sein scheinen.

Die einst mit Torfmull und Sägespänen gedämmte Außenhülle hat er durch eine Innendämmung verstärkt und die alten Fenster ersetzt. Statt des Plumpsklos gibt es heute ein Badezimmer im einstigen Wellblech-Schuppen, der rechtwinklig hinter jeder Nissenhütte steht und von den Planern als Werkstatt oder Stall gedacht war. Den hat Johannes Siegfriedt in den 60er-Jahren für die beiden Söhne zum Kinderzimmer ausgebaut.

Heute verfügen die Siegfriedts über 70 Quadratmeter Wohnfläche, alles zu ebener Erde. Zudem haben sie eine Laube gebaut, von der sie in ihren Garten mit Fischteich, Kartoffelacker und Blumenbeet blicken. „Wir haben hier viel Platz, brauchen keine Treppen zu steigen, es ist immer warm und im Sommer blüht alles im Garten. Hoffentlich können wir hier noch lange leben“, sagt Ilse Siegfriedt.