„Vorteile durch Distinktion“

SOZIALE FRAGE Immer mehr Eltern schicken ihre Kinder auf private Schulen. Deren Finanzierung ist umstritten: Mehr staatliches Geld statt hoher Schulgebühren?

■ In Berlin beklagen sich die Privatschulen schon seit Jahren über unzureichende Unterstützung. Zur Entwicklung eines neuen Finanzierungskonzeptes wurde deshalb im Vorjahr eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Bildungs- und Finanzverwaltung sowie der Privatschulen gegründet – mit ersten Ergebnissen wird Ende des Jahres gerechnet. Auch bei den Koalitionsgesprächen zwischen SPD und CDU waren die freien Schulen bereits Thema, und es wird erwartet, dass sie künftig mehr gefördert werden – bisher erhalten sie Zuschüsse in Höhe von 93 Prozent der vergleichbaren Personalkosten öffentlicher Schulen. Das sind allerdings nur zwei Drittel der Gesamtkosten. Erschwerend für Neugründungen von Privatschulen kommt hinzu, dass sie zum Teil bis zu fünf Jahre warten müssen, bis sie die Regelfinanzhilfe erhalten. In Brandenburg zeichnet sich währenddessen ab, dass die von der rot-roten Landesregierung geplante Kürzung der Zuschüsse geringer ausfällt als angekündigt. Auch dort hatte die Initiative „Schule in Freiheit“ erfolgreich Unterschriften gesammelt. Mehr Infos unter: www.schule-in-freiheit.de (os)

VON OLE SCHULZ

Der Trend zur Privatschule hält in Berlin weiter an: Das neue Schuljahr startete mit sechs neuen allgemeinbildenden Privatschulen, für 2012/13 liegen derzeit 13 Anträge für Privatschulgründungen vor. Das schlägt sich auch in den Schülerzahlen nieder. Lag der Anteil der Schüler, die an freien Schulen unterrichtet werden, im Vorjahr noch bei acht Prozent, sind es jetzt schon fast zehn. Viele Eltern bevorzugen inzwischen private Schulen mit ihren häufig besonderen pädagogischen Ansätzen und mehr Freiheit bei der Organisation gegenüber den stark reglementierten staatlichen Schulen.

Keine Trennung nach Besitzverhältnissen

Diese Entwicklung wirft Fragen auf – zum Beispiel, ob dadurch zu einer sozialen Entmischung im Berliner Schulwesen beigetragen wird. Oder auch, inwieweit private Schulen ihre Türen für Familien mit wenig Geld öffnen. Denn ein Schulgeld muss an fast allen Privatschulen entrichtet werden, weil der Staat nur ein Teil der Kosten trägt. Fest steht zumindest, dass laut Grundgesetz private Ersatzschulen keine Trennung der Schüler nach Besitzverhältnissen ihrer Eltern fördern dürfen.

Wie dieses „Sonderungsverbot“ konkret umgesetzt wird, ist allerdings Ländersache. Während in Hamburg zum Beispiel ein Höchstsatz von 200 Euro monatlich für das Schulgeld gilt, gibt es in Berlin eine einkommensabhängige Staffelung mit Richtwerten für den Einstiegssatz: Laut Bildungssenat darf dieser für die unterste Einkommensgruppe „entsprechend der aktuellen Rechtssprechung“ nicht mehr als 100 Euro pro Monat betragen.

So haben die meisten Privatschulen individuelle Regelungen für das Schulgeld – eben auch für Geringverdiener. An der Freien Waldorfschule in Berlin-Mitte zum Beispiel gilt seit diesem Schuljahr etwa ein Festbetrag von monatlich 175 Euro. „Wer aber weniger als 35.000 Euro im Jahr verdient, der wird zu einem Gespräch mit dem Elternbeitragskreis gebeten, um eine Lösung zu finden“, sagt Dagmar Brockstedt, die Geschäftsführerin der Schule. Die Untergrenze seien 60 Euro monatlich. Und obwohl die Waldorfschule im durchgentrifizierten Teil von Mitte unweit des Hackeschen Markts liegt, schätzt Brockstedt, dass der Festbetrag für rund die Hälfte der Schüler nicht bezahlt werde, weil ihre Eltern zu wenig verdienen. „Wir haben viele Hartz-IV-Bezieher und prekäre Selbstständige unter den Eltern“, so Brockstedt.

Alles in allem ist die Bandbreite der Schulgeldordnungen ähnlich groß wie die Palette der Privatschultypen. Denn neben den vielen konfessionellen Schulen mit einem in der Regel recht niedrigen Schulgeldsatz gibt es auch freie Alternativ- und Waldorfschulen sowie kommerzielle Anbieter, die auf eine einkommensstarke Klientel abzielen.

Es sind dabei gerade auch die freien Schulen, die sich zunehmend über die Benachteiligung bei der Finanzierung beklagen. Mit ihrer Forderung „Gleichberechtigte Finanzierung. Die Schulen in staatlicher und freier Trägerschaft sollen ohne Schulgeld zugänglich sein“ sammelte die Berliner Initiative „Schule in Freiheit“ im Vorjahr binnen kürzester Zeit weit mehr als 20.000 Unterschriften. Damit erstritt sich die Volksinitiative eine Anhörung im Abgeordnetenhaus und findet seither Unterstützung aus verschiedenen Richtungen: etwa vom Paritätischen Wohlfahrtsverband, dem Dachverband Berliner Kinder- und Schülerläden (DaKS), Grünen und FDP.

In Berlin darf der Einstiegssatz des Schulgelds nicht mehr als 100 Euro betragen

Hintergrund ist, dass die Privatschulen chronisch unterfinanziert sind. „Die staatlichen Zuschüsse decken nur rund zwei Drittel der Kosten“, sagt Volker Symalla, Geschäftsführer des Verbands Deutscher Privatschulen (VDP) für Berlin-Brandenburg. Das Land übernehme zwar 93 Prozent der Personalkosten, zahle aber nichts für die Miete, den Gebäudeunterhalt oder die Lehrmittel. „Ausgesprochen gut“ findet Symalla nur, dass der Bildungssenat derzeit an einem Musterschulenmodell arbeitet, um die bei der Berechnung zugrunde gelegten Schülerkostensätze auf eine solide Grundlage zu stellen.

Die GEW verweist derweil darauf, dass durch Privatschulen eine soziale und ethnische Segregation stattfindet – selbst wenn kein Schulgeld bezahlt wird. Denn bekanntermaßen kümmert sich ein beträchtlicher Anteil bildungsferner Familien, darunter viele mit Migrationshintergrund, wenig um die Schulausbildung ihrer Kinder.

Und im Unterschied zu Privatschulen können sich die öffentlichen Schulen ihre Schülerschaft nicht aussuchen und müssen alle Kinder aufnehmen. Diese Argumentation wird zumindest in einem Punkt durch die amtliche Statistik untermauert: Der Anteil von Schülern mit nicht deutscher Herkunft ist an Privatschulen mit rund sieben Prozent nur halb so hoch wie an staatlichen Schulen.

Die kontroversen Standpunkte zu Privatschulen verdeutlichen auch zwei dieses Jahr vorgestellte wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema: Während eine von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebene Studie konstatiert, dass Privatschulen „nicht mehr nur ein Refugium gehobener Milieus, sondern zunehmend auch der bürgerlichen Mitte“ seien, die sich in einer entsolidarisierten Gesellschaft „Vorteile durch Distinktion“ verspreche, steht in der Untersuchung des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft die Finanzierungslücke bei den Privatschulen im Mittelpunkt: Zur Existenzsicherung müssten diese zunehmend auf Sponsoren und Spendengelder setzen – oder eben die Schulgebühren erhöhen.