Polyglottes Europa

SPRACHEN Nach Vorgabe der EU soll jeder neben seiner Muttersprache zwei Fremdsprachen lernen. Norwegisch eignet sich zurzeit für Menschen, die Jobs im hohen Norden suchen

■ Rechnungen stellen, Präsentationen entwerfen, Marketing-Pläne und E-Mails schreiben – mit Fingerspitzengefühl und einem Gespür für die richtigen Zwischentöne der jeweiligen Kultur: All das in der internationalen Geschäftssprache Englisch zu absolvieren ist heute beinahe ein berufliches Muss. Immer häufiger greifen Menschen mit Fortbildungsbedarf in Englisch und auch anderen Sprachen zu Lern-Software, also CD-ROMs und Onlinekursen. Wie lassen sich die besten Angebote identifizieren? Stiftung Warentest hat eine kleine Checkliste zusammengestellt:

■ Themenmix: Inhalte sollten Berufsbezug haben, möglichst vielseitig sein und einen authentisch situativen Charakter haben.

■ Sprachaktivitäten: Alle vier Fähigkeiten (Hören, Sprechen, Lesen, Schreiben) wollen trainiert sein. Dazu ist eine Spracherkennung erforderlich.

■ Interaktivität: Übungen vielfältiger Art sind wichtig.

■ Feedback: Lerner benötigen differenzierte Rückmeldungen zu ihren Lernschritten.

■ Sprachniveau: Sinnvoll ist dabei eine Anlehnung an den „Europäischen Referenzrahmen“.

■ Produktinfos über Sprachniveau, Lerninhalte, Lernzeit, Lieferumfang sind nützlich.

■ Ist ein Kundendienst oder eine Hotline für Schwierigkeiten und Servicefragen vorhanden?

■ Austausch: Gibt es einen zusätzlichen Community-Bereich mit Foren, Chats und virtuellen Klassenräumen, wo man sich mit anderen Lernern austauschen kann?

■ Tutor: Im besten Fall kann man einen Tutor per Mail oder Chat konsultieren. (bhf)

VON BIRGIT HEITFELD

Spaziert man in Berlin durch den Stadtteil Prenzlauer Berg, fliegen einem unentwegt Sprachfetzen aus den verschiedensten Kulturen um die Ohren – Rumänisch, Italienisch oder Spanisch. So wie in einem experimentellen Open-Air-Sprachlabor. Sprachen sprechen und lernen erscheint hier so selbstverständlich wie Atmen, Essen und Trinken. Man tut es im Café, auf Vernissagen oder in Clubs. Selbst für mobile Nerds mit Sozialhemmung bieten virtuelle Vokabeltrainer ihre Dienste via Phone-App an.

Aber nicht jeder kann oder will eine Sprache auf so assoziativ-verspielte Art und quasi im Vorbeigehen lernen. Volkshochschulen, Sprach- und Kulturinstitute bieten deshalb bundesweit eine breite Palette von Grund- und Spezialkursen an, ob für Business-Englisch, Chinesisch für Anfänger, Weinkunde auf Spanisch oder Fach-Italienisch für Juristen. Auch CD-ROMs, Onlinekurse, Chats und Foren sowie ein großes Sortiment an Sprachreisen gibt es inzwischen in unübersichtlicher Vielzahl.

Dank Stiftung Warentest existiert hierzulande so etwas wie einen Sprachenlern-Navi, der uns vor einem Sprachensalat babylonischen Ausmaßes bewahren will. Jährlich schwirren die Tester aus, um die Spreu vom Weizen zu trennen und systematisch Kriterien und Qualitätsmerkmale für gute Angebote zu definieren (siehe Kasten). Denn Sprachen lernen wird immer wichtiger. Allein in Europa gibt es 23 Amtssprachen, darunter Irisch und Maltesisch, Dänisch und Estnisch. Daneben existieren 60 Sprachgemeinschaften wie Bretonisch, Sorbisch oder Walisisch. Daher taten EU-Funktionäre nun ihre Vision von einem polyglotten Europa kund: Jeder soll neben seiner Muttersprache zwei Fremdsprachen lernen.

Torsten Pickel (44) ist gerade dabei. Seine Wahl fiel neben Englisch auf Norwegisch. Anlass war ein Umzug nach Norwegen – von Berufs wegen. Der Maschinenbauingenieur (FH) aus Darmstadt, in Deutschland bei einem Global Player aus dem Bereich Autoreifen tätig, war schon seit einigen Jahren auf der Suche nach einer guten „Zukunftsmöglichkeit“ für sich und seine Familie. Norwegen oder Kanada – so die Vorüberlegung des Naturliebhabers. Mithilfe der Agentur Placement, die im Auftrag verschiedener skandinavischer Kommunen Auswanderer anlockt, erhielt er mehrere Angebote. Die Pickels entschieden sich für Botngård, einen Ort mit 1.500 Einwohnern im Westen Norwegens, zwei Autostunden von Trondheim entfernt.

Pickel arbeitet nun als Produktionsleiter einer Fabrik, die Decken und Netze für die Lachsentlausung herstellt. Seine Frau, eine Innenarchitektin, ist in der örtlichen Kulturschule als Projektleiterin angestellt. Die beiden Kinder, 11 und 13 Jahre, gehen dort zur Schule. „Das deutsche Know-how ist gefragt, ich fühle mich hier wahnsinnig anerkannt und als Mensch wertgeschätzt“, sagt Pickel. Aber: Profunde norwegische Sprachkenntnisse seien unabdingbar, um tiefere soziale Bindungen in der kleinen Gemeinde aufzubauen, um die Business-Codes und die entscheidenden Zwischentöne zu dechiffrieren. Bereits vor dem Umzug nach Norwegen absolvierte Pickel deshalb einen Norwegischkurs an der Volkshochschule.

Ähnliche kulturelle Erfahrungen wie Torsten Pickel hat Jan Hautmann (32) gemacht, der als Geophysiker von Bayern nach Oslo kam. Er arbeitet bei einer Ölservicegesellschaft im Bereich Daten-Processing und erstellt aus Zahlen, die Reservoir-Ingenieure zuvor gewonnen haben, 3-D-Modelle. Ein Großteil der Kommunikation lässt sich in Norwegen mit Englisch bewältigen.

Doch wer über die internationalen „Expatriot“-Circles der globalisierten Hauptstädte hinaus in einen tieferen Kontakt mit der einheimischen Bevölkerung eintreten möchte, kommt an profunden Sprachkenntnissen des jeweiligen Landes nicht vorbei. Kulturell offen sei die norwegische Gesellschaft vor allem an der Oberfläche, meint Hautmann.

Besonders populär für Arbeitssuchende ist gerade der skandinavische Arbeitsmarkt

Ein wichtiger Grund, Sprachen zu lernen, ist in der Tat die wachsende berufliche Mobilität. Besonders populär für Arbeitssuchende ist derzeit der skandinavische Arbeitsmarkt mit seinen attraktiven Gehältern, exzellenten Fortbildungsmöglichkeiten und einem familien- und freizeitorientierten Berufsalltag. So wundert es nicht, dass etwa bei der Weiterbildungsdatenbank Berlin Sprachkurse in Norwegisch derzeit am meisten nachgefragt sind.

Auch das spanische Instituto Cervantes in Berlin kann über mangelnde Nachfrage nicht klagen. Pro Jahr schreiben sich 4.500 bis 5.000 Schüler für Spanischkurse ein. In den vergangenen Jahren verzeichnete das Institut in der Hauptstadt jeweils einen Anstieg der Teilnehmer um 20 Prozent. Internen Umfragen zufolge stehen Gründe wie Studium oder Beruf nur an zweiter Stelle – hinter Spaß und dem linguistischen „Survival-Kit“ für die Reise.

Für Spaßlerner mit schmalem Geldbeutel, die die Kursgebühren der offiziellen Institute scheuen oder lieber gleich in einen Flug in ihr Traumland investieren möchten, seien die Pinnwände in Prenzlauer Berg und im Internet empfohlen, wo Muttersprachler ihre Dienste auch als Tauschgeschäft anbieten: Lernen im Tandem – live im Café oder auch per Videochat auf Skype. Denn Spanisch ist en vogue – und das auch in Berlins angesagtem Quartier, wo es neben Englisch und „Kreativtalk“ vermutlich die am häufigsten gesprochene Sprache ist.