Mein Freund, das Internet

SUCHT Wenn sich das soziale Leben ausschließlich online abspielt, hilft manchmal nur noch eine Therapie

„Eine komplette Computer-Abstinenz kann nicht das Ziel sein“

Tim Aalderink, Suchttherapeut

In Deutschland sind mehr als eine halbe Million Menschen computersüchtig. Das geht aus einer repräsentativen Studie der Universitäten Lübeck und Greifswald hervor, die Ende September vorgestellt wurde. Weitere 2,5 Millionen Menschen gelten als gefährdet, heißt es. Das entspricht einer Quote von einem beziehungsweise fünf Prozent.

Doch was bedeutet diese Erhebung für Betroffene? Den Computer herunterfahren und es dabei belassen? „Nein, denn nur ein Einsiedler kann heutzutage noch auf den Computer verzichten“, sagt Tim Aalderink.

Er ist leitender Psychologe an der Schön-Klinik im schleswig-holsteinischen Bad Bramstedt, die jetzt ein besonderes Therapiekonzept anbietet – und das stationär: Es soll Computersüchtigen helfen, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, und richtet sich an volljährige Patienten. „Bei uns ist niemand, von dem man sagen könnte: Der hat nur ein kleines Computerproblem“, sagt Aalderink. Die meisten Patienten litten auch unter sozialen Angststörungen, Depressionen und Persönlichkeitsstörungen – und hätten somit mehrere Diagnosen gleichzeitig.

Woran man erkennt, dass der eigene Computergebrauch schon pathologisch, also krankhaft ist? „Wenn man deutlich länger am Computer verbringt, als man eigentlich möchte und dies erhebliche negative Folgen hat, zum Beispiel psychisch oder sozial“, sagt Aalderink.

Der Betroffene verbringe dann weit mehr als ein bis zwei Stunden pro Tag online, mit vielfältigen Folgen. Er isoliere sich von seinem gewohnten sozialen Umfeld, hätte psychische Probleme – und auch körperlich seien Folgen sichtbar: Viele hätten Ess-Störungen, seien adipös und hätten sogar Verwahrlosungstendenzen, weil sie selten das Haus verlassen.

In der Klinik lernen die Patienten neue Strategien im Umgang mit dem Computer, sie lernen, einer geregelten Tagesstruktur zu folgen und einen gesunden Schlafrhythmus einzuhalten – denn viele sind vor allem nachts am Computer aktiv.

Das Problem: Anders als bei Alkohol, Zigaretten und anderen Drogen, muss ein gesundes Maß gefunden werden. „Eine komplette Computer-Abstinenz kann in unseren Zeiten nicht das Ziel sein“, sagt Aalderink. EMS