Versprechen und Chancen

INDIEN Im „Land des Jahres“ der Biofach 2012 tut sich viel. Die Potenziale sind nach wie vor enorm, die Herausforderungen ebenso

Gerade Indiens Landwirtschaft braucht einen nachhaltigen Entwicklungsschub

VON OLE SCHULZ

Es begann bereits in den 1980er Jahren. Damals war es zunächst ökologisch produzierter Tee aus Darjeeling, der nach Deutschland ausgeführt wurde. Heute ist das Biosortiment aus Indien breiter aufgestellt: frische Topfkräuter, Gewürze – darunter auch Vanille und Ingwer –, Bohnen und Linsen, Erdnüsse und Cashewkerne, außerdem Saucen und Pasten aus dem Glas. Dieses Jahr ist Indien auf der Biofach nun das „Land des Jahres“, und rund fünfzig indische Aussteller präsentieren sich auf der Messe dem deutschen und internationalen Fachpublikum.

Indien, ein Land der Gegensätze mit etwa 1,2 Milliarden Einwohnern, befindet sich auf dem Weg zur wirtschaftlichen Weltmacht und will auch auf dem wachsenden Markt für Biowaren mitspielen. 2010 hat der Export von indischen Bioprodukten laut Schätzungen etwa 120 Millionen US-Dollar eingebracht – Biobaumwolle steht dabei an erster Stelle, gefolgt von Obst und Gemüse, Ölsaaten, Tee und Kaffee. Und das ist nur der Anfang: „In fünf Jahren sollten wir eine Milliarde US-Dollar Umsatz beim Export von Biolebensmitteln, Biobaumwolle und anderen Non-Food-Produkten erreichen“, errechnete Indiens Handelsminister Rahul Kullar im Vorjahr.

Fest steht, dass gerade Indiens Landwirtschaft einen nachhaltigen Entwicklungsschub dringend gebrauchen kann. Immer noch sind etwa zwei Drittel des Milliardenvolks in der Landwirtschaft beschäftigt, die aber nur rund ein Fünftel zum Bruttonationaleinkommen des Landes beiträgt. Nach dem „Erfolgsmodell der grünen Revolution“ seit den 1960er Jahren, gehe es nun um den „Übergang zur evergreen revolution“, sagt Indienexperte Heinz Peters von der Welthungerhilfe. Der Anbau und die Vermarktung von Bioprodukten biete den Bauern neue Chancen, meint Peters, weil sie „bessere Preise“ erzielen können. Natürliche Anbaumethoden seien aber auch deshalb angebracht, weil „die Böden durch extensiven Düngemitteleinsatz ausgelaugt worden“ sind.

Gerald A. Herrmann von der Unternehmensberatung Organic Services sieht das ähnlich: Gerade weil die Landwirtschaft Indiens überwiegend unter schwierigen Bedingungen betrieben werde – „auf degradierten Böden und bei unzureichenden Niederschlägen“ –, sei der Ökolandbau „ausgesprochen sinnvoll“. Wenn die indischen Kleinbauern ökologisch gut wirtschaften – „den Boden pflegen, Fruchtfolgen beachten und den Humusgehalt erhöhen“ –, können sie „durchaus höhere Erträge als ihre konventionellen Kollegen erwirtschaften“, erläutert Herrmann, zumal sie keine Kredite mehr für teure Betriebsmittel wie Hightechsaatgut, synthetische Dünger oder Pestizide aufnehmen müssten. Denn es werden immer noch viele indische Kleinbauern aufgrund von Schulden in den Freitod getrieben. Eine ökologische Wirtschaftsweise komme dagegen auch der „traditionellen indischen Verbundenheit mit der Natur“ sehr entgegen.

Herrmann kennt sich in Indien gut aus, seit er 2006 mit Partnern vor Ort einen Ableger seiner Unternehmensberatung eröffnet hat. Dieses Jahr organisiert Herrmann gemeinsam mit der staatlichen indischen Exportfördergesellschaft Apeda die Indienveranstaltungen auf der Biofach.

Die indische Biobranche scheint sich rasant zu entwickeln – auch dank staatlicher Förderung. Dazu zählt „die Bereitstellung von Saatgut ebenso wie die Übernahme der Kosten für die ‚third part certification‘“, erklärt Herrmann. Mit Hilfe solcher Zuschüsse, aber auch durch Schulungsangebote für umstellungswillige Bauern konnte die ökologische bewirtschaftete Fläche allein zwischen 2007 und 2009 auf 1,2 Millionen Hektar verdoppelt werden, bis Ende 2012 werden 2 Millionen Hektar zertifizierte Bioanbaufläche angepeilt. Laut Apeda-Direktor Sanjay Dave ist es nun eines der wichtigsten Ziele, „in den nächsten Jahren eine Bioanbaufläche von 5 Millionen Hektar zu erreichen“.

Als „Meilenstein“ beim Aufstieg Indiens zum Global Player in der Biobranche preist Sanjay Dave vor allem die Anerkennung der vom National Programme for Organic Production (NPOP) entwickelten indischen Biostandards durch die EU und USA. Dazu komme eine webbasierte Rückverfolgungssoftware für Bioprodukte, die im Juni 2010 online gegangen ist.

Dass es bei der Biozertifizierung gleichwohl zu Problemen kommen kann, zeigten Anfang 2010 Gerüchte über verunreinigte indische „Bio“-Baumwolle. Zwar konnte der vermeintliche Skandal am Ende nicht bewiesen werden, doch wurde dadurch deutlich, dass die Biobaumwollproduktion durch den gleichzeitigen Anbau von gentechnisch manipulierter Baumwolle gefährdet sein kann – für ein Land wie Indien, das mit einem Marktanteil von geschätzten 80 Prozent weltgrößter Lieferant von Biobaumwolle ist, ist das eine überaus sensible Angelegenheit.

Denjenigen, die den Export von Bioprodukten über größere Distanzen – wie zum Beispiel von Indien nach Deutschland – ohnehin für den falsche Weg halten, hält Herrmann entgegen, dass nicht nur der Süd-Süd-Handel zunehme, sondern auch der indische Binnenmarkt für Bioprodukte wachse. Zwar seien alle Statistiken, die sich auf den Bioabsatz innerhalb Indiens beziehen, mit „größter Vorsicht“ zu genießen, doch gleichzeitig sei unstrittig, dass mittlerweile etwa 150 Millionen bis 200 Millionen Inder zur „urbanen Mittelklasse“ gehören. Und all diese gebildeten und oft ernährungsbewussten Städter sind laut Herrmann „potenzielle Kunden von Biolebensmitteln“.