Eine Frage der Zielsetzung

URLAUB Das Marktpotenzial von umwelt- und sozialverträglichen Reiseangeboten ist hoch, es fehlen Angebote

■ Die Broschüre „Nachhaltigkeit im Tourismus – Wegweiser durch den Labeldschungel“ kann kostenlos als PDF bezogen werden. Sie gibt auf 21 Seiten etliche Informationen und Tipps zum Thema nachhaltiges Reisen. Die Autoren haben zahlreiche deutsche und internationale Nachhaltigkeitssiegel aus dem Tourismusbereich miteinander verglichen und so eine gut lesbare Übersicht erstellt. Dabei werden nicht nur der Geltungsbereich der Labels, sondern auch Transparenz- und Prüfkriterien aufgelistet. Die Broschüre, zu deren Herausgebern unter anderem der Evangelische Entwicklungsdienst (EED) gehört, steht unter www.tourism-watch.de

VON HEIDE REINHÄCKEL

Wer den frostigen Temperaturen dieser Tage entfliehen möchte, träumt vielleicht vom Kurzurlaub im Süden, vom irisierenden Blau des Hotelpools statt grauem Schneematsch, vom Sand zwischen den Zehen statt Streukies unterm Schuh. Nach wie vor bleiben die Deutschen ihrem Ruf als Reisenation treu. Allein 2010 traten sie nach einer Studie des Deutschen Reiseverbands (DRV) 75,6 Millionen Urlaubsreisen an. Für 2012 prognostizierte die World Tourisms Organisation (UNWTO) eine Milliarde an internationalen Ankünften weltweit, was immerhin ein Siebentel der Weltbevölkerung auf Reisen bedeutet.

Angesichts dieser Touristenströme in Zeiten des Klimawandels verwundert es nicht, dass vermehrt negative Langzeiteffekte des Tourismus jenseits der heilen Werbewelt der Hochglanzkataloge thematisiert werden. Denn vor allem in Entwicklungsländern belastet der Tourismus häufig das ökologische Gleichgewicht durch hohen Wasserverbrauch, große Abfallproduktion und enorme Flächennutzung in Konkurrenz zur einheimischen Landwirtschaft. Häufig fehlen soziale Mindeststandards bei den Beschäftigungsverhältnissen der Angestellten. Deshalb hat die Moralisierung der Märkte auch die Tourismusbranche erreicht und das Marktsegment nachhaltigen Tourismus hervorgebracht.

„Nachhaltigkeit ist ein Zusatznutzen beim Reisen. Im Vordergrund stehen erst einmal das Reiseziel, Komfort, Qualität und das Preis-Leistungs-Verhältnis“, erklärt Wolfgang Strasdas. Er ist Professor für das Fachgebiet Nachhaltiger Tourismus an der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung (HNE) in Eberswalde, die seit 2004 den Masterstudiengang Nachhaltiges Tourismusmanagement anbietet.

Fernreisen sind ökologisch problematisch, bringen aber in einigen Regionen den Naturschutz voran

Das Marktpotenzial von umwelt- und sozialverträglichen Reiseangeboten ist hoch: „Während sich auf der Nachfragerseite um die 20 Prozent für nachhaltige Reiseprodukte entscheiden würden, spielt auf der Anbieterseite das Thema Nachhaltigkeit nur eine untergeordnete Rolle. Es herrscht also Nachholbedarf“, führt Strasdas aus. „Mit ihren Marketing-Etats wären gerade die großen Anbieter in der Lage, das Thema Nachhaltigkeit offensiver zu platzieren. Die Tourismusindustrie verhält sich leider zu opportunistisch, anstatt die Initiative zu ergreifen.“

Doch was zeichnet umwelt- und sozialverträgliches Reisen aus? „Nachhaltiges Reisen ist umweltfreundlich, sozial gerecht und wirtschaftlich fair“, so Ute Linsbauer von Forum anders Reisen. Der Dachverband für kleine und mittlere Reiseveranstalter hat momentan 124 Mitglieder, die mit dem sogenannten CSR-tourism-Siegel zertifiziert sind.

Das Siegel bescheinigt Tourismusunternehmen, dass sie ihre Geschäftspraxis systematisch auf Nachhaltigkeit geprüft haben. „Als wir uns 1998 gegründet haben, waren wir eine Nische und galten als Ökos und Idealisten. Als dann ab 2005 die Klimadebatte einsetzte, war zu beobachten, dass auch große Veranstalter auf den Zug aufsprangen und zumindest nachhaltige Teilangebote in ihr Gesamtangebot aufnahmen.“

Mittlerweile gibt es unterschiedliche Zertifizierungssysteme für nachhaltige Reiseprodukte, und die Angebotspalette reicht vom Wandern in der Prignitz, über Ayurveda-Urlaub in Indien bis zur Weltumrundung mit Frachtschiff und Eisenbahn. Aber auch hier gilt, dass in die Ferne schweifen manchmal das im Wortsinn Naheliegende verdeckt: „Tourismus in Deutschland ist vergleichsweise nachhaltig: Er fördert gerade in ländlichen Regionen die wirtschaftliche Entwicklung. Touristen kaufen gern regionale Produkte. Somit bleiben die Einkommen aus dem Tourismus in der Region.

■ Eine Reihe von Organisationen errechnet, wie beträchtlich sich ein Flug von A nach B auswirkt. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, was getan werden muss, um diesen Schaden wieder auszugleichen – und was das kostet. Bei diesen Berechnungen wird vor allem der CO2-Ausstoß als Grundlage verwendet.

■ Adressen, bei denen man die Folgen deines Flugs für die Umwelt kompensieren kann: www.atmosfair.de, www.myclimate.org, www.jpmorganclimatecare.com, www.greenseat.nl

■ Bei einem direkten Vergleich weichen die berechneten Summen voneinander ab. Der Grund: verschiedene Berechnungsmethoden. Die Höhe des Betrags ist aber nur ein Faktor. Entscheidend ist, wofür das Geld verwendet wird.

■ Ein Freischein fürs Fliegen ist dieser Ablass aber nicht: Emissionen zu vermeiden ist immer noch sinnvoller, als sie erst zu erzeugen und dann zu kompensieren. (lk)

Auch Wandern und Rad fahren sind nicht nur nachhaltig, sondern haben nebenbei auch einen positiven Gesundheitseffekt als Zusatznutzen“, sagt Strasdas. Wer Wert auf nachhaltiges Reisen legt, ist also mit einem gut durchdachten Inlandsurlaub schon auf der richtigen Seite. Auch Städtereisen schonen die Umwelt.

Problematisch dagegen sind aus der Sicht des Experten weiterhin Flugreisen zu fernen Reisezielen: „Fernreisen bleiben ein unlösbares Problem. Die CO2-Kompensation ist zwar eine gute individuelle Lösung, aber keine für die Gesamtbranche. Nachhaltiger Tourismus vermag es nicht immer, die drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziales in eine perfekte Balance zu bringen. Beispielsweise ist in Namibia, in Ostafrika oder in Costa Rica Naturschutz ohne die positiven Effekte eines nachhaltigen Naturtourismus kaum denkbar. Da muss man abwägen.“ Soll es dann doch der Flug in die Ferne werden, gilt die alte Faustregel: je länger der Flug, desto länger der Aufenthalt.