Ein Patent auf die Natur

BIOPIRATERIE Seit 20 Jahren bekämpft die UN-Konvention zur biologischen Vielfalt die Ausbeutung „genetischer Ressourcen“ – ohne Erfolg

VON VIOLA CAMPOS
& MORITZ LOHMANN

Im Juni dieses Jahres findet in Rio de Janeiro die Konferenz der Vereinten Nationen zu Umwelt und Entwicklung statt. Damit jährt sich auch zum 20. Mal der Versuch, weltweit gegen Biopiraterie vorzugehen. Was genau ist mit diesem Begriff gemeint? Die indische Umweltschützerin Dr. Vandana Shiva definiert ihn als einen „vom Profitinteresse angetriebenen, bewussten Diebstahl durch multinationale Konzerne“.

Das Schweizer Unternehmen Nestlé meldete 2010 fünf Patente auf die Verwendung der südafrikanischen Pflanzen Rooibos und Honeybush an. Mit der Forschung an den Pflanzen sollen neue Kosmetikprodukte für bestimmte Haut- und Haarkrankheiten entwickelt werden. Der Haken bei diesem Geschäft ist, dass jene leer ausgehen, die diese Pflanzen seit Jahrtausenden anbauen und benutzen. Ob Mais, Melonen, Saatgut oder Basmatireis: Biopiraterie ist ein weltweites Problem.

1992 wurde deshalb auf der ersten UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro die Biodiversitäts-Konvention verfasst, die von allen Staaten bis auf die USA und den Vatikan ratifiziert wurde. Sie regelt die gerechte Aufteilung der Gewinne, die aus der Nutzung genetischer Ressourcen entstehen. Dadurch sollen vor allem die armen Länder, an deren Rohstoffen ausländische Konzerne interessiert sind, entschädigt werden. Doch wie so häufig bleibt die Konvention nur auf dem Papier.

Hoffnung Nagoya

Die Vereinbarungen werden von den Konzernen bewusst umgangen, „da die Staaten das internationale Völkerrecht bisher noch nicht in nationales Recht umgewandelt haben“, beklagt Michael Frein, Biopiraterie-Experte vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED).

Ein Hoffnungsschimmer besteht allerdings. Das noch nicht in Kraft getretene Nagoya-Protokoll soll notwendige Schritte vorantreiben, die zu einem gerechten Vorteilsausgleich führen.

Demnach müsste der südafrikanische Staat erst um sein Einverständnis gebeten werden, bevor ein Patent angemeldet werden kann. Für unser Beispiel Nestlé würde das bedeuten, dass das Unternehmen entweder kein Patent hätte anmelden können oder Südafrika am Gewinn hätte beteiligen müssen.

Michael Frein ist skeptisch: „Für eine Umsetzung der Idee sind Kontrollstellen nötig. Diese sind im Nagoya-Protokoll jedoch nicht zwingend vorgesehen. Sie sind lediglich eine Empfehlung.“

Der Fall „Niembaum“ ist ein Beispiel dafür, wie nationale Konzerne durch öffentlichen Druck an der Biopiraterie gehindert werden können. Der indische Wunderbaum enthält über 100 Inhaltstoffe, mit denen unter anderem Insektizide, Düngemittel oder antibakterielle Körperpflegeprodukte hergestellt werden können. Doch lange bevor die wissenschaftliche Forschung ihn entdeckte, wandte die ayurvedische Medizin bereits seine heilbringenden Wirkstoffe an.

Ab Mitte der Achtzigerjahre gingen amerikanische, japanische und europäische Unternehmen dazu über, Patente auf Wirkeigenschaften und Extraktionsverfahren des Niembaumes anzumelden. Nachdem das US-Unternehmen W. R. Grace in Indien Produktionsstätten zur Niemverarbeitung errichtet hatte, befürchteten viele kleine indische Unternehmen und Bauern, dass der Baum durch die kommerziellen Interessen der Amerikaner zu einem knappen und zu teuren Rohstoff werden könnte.

Es fehlt an Erfindungsgeist

Angeführt von Dr. Vandana Shiva wurde 1993 die Niem-Kampagne ins Leben gerufen, bei der 100.000 Unterschriften gegen die Patentierung von Niemprodukten zusammenkamen. Ihren größten Erfolg erreichte sie, als dem Unternehmen W. R. Grace und dem US-Landwirtschaftsministerium das Patent für ein niemhaltiges Fungizid entzogen wurde. Das Europäische Patentamt begründete die Entscheidung mit fehlender „erfinderischer Tätigkeit“, da fungizide Wirkungen von Pflanzenölen bereits vielfach bekannt seien.

Auch deutsche Unternehmen sind in die Biopiraterie verwickelt. Der Pharmakonzern Schwabe besaß beispielsweise bis 2010 das Patent für ein Extraktionsverfahren des Arzneistoffes Pelargonium, mit dem das Bronchitis-Mittel Umckaloabo hergestellt wird.

Während die Bundesregierung noch immer debattiert, wie das Nagoya-Protokoll verwirklicht werden kann, gab Angela Merkel bereits bekannt, dass sie nicht am G-20-Gipfel in Rio teilnehmen wird. Somit dürfte die deutsche Vorreiterrolle im Umweltschutz weiter an Glaubwürdigkeit verlieren.