Das muslimische Bluttabu ist die Gretchenfrage

Wie hältst du es mit der Integration? Mit der Erlaubnis zu schächten haben die in Deutschland lebenden Muslime ein Etappenziel erreicht

BERLIN taz ■ Schon mal drüber nachgedacht, weshalb aus Dönern nie blutiger Fleischsaft tropft, und warum man beim Pakistaner kein rare Steak bestellen kann? Im Islam, genau wie im Judentum, gibt es ein Bluttabu: Weil sich im roten Lebenssaft die Schöpferkraft Gottes manifestiert, ist der Verzehr von Blut in beiden abrahamitischen Religionen untersagt.

Die Erlaubnis, auch in Deutschland rituell schächten zu dürfen – das Tier also ohne Betäubung zu töten, um es anschließend vollständig ausbluten lassen zu können –, stand deshalb von Anfang an auf der Agenda der islamischen Organisationen und Vereine in Deutschland. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland, heute einer der beiden großen deutschmuslimischen Dachverbände, ging zum Beispiel aus einer Initiative hervor, die sich eigens zur Erlangung der Schächterlaubnis gegründet hatte.

Auch der Islamrat, der zweite große Dachverband, setzt sich seit Jahrzehnten für eine Schächterlaubnis ein. Beide Verbände haben deshalb gemeinsam die Verfassungsbeschwerde des muslimischen Metzgers Rüstem Altinküpe aus Hessen unterstützt – eines der nicht allzu häufigen Beispiele für Kooperation zwischen den beiden ansonsten konkurrierenden Organisationen.

Warum die Schächtfrage für die hier lebenden Muslime solch eine große Bedeutung hat, liegt auf der Hand. Sie ist eine Art Gretchenfrage, die MuslimInnen der deutschen Gesellschaft stellen können: Tierschutz oder Minderheitenrechte – wie haltet ihr es mit der Integration?

„Wir sind ausgesprochen glücklich“, kommentiert denn auch Wolf Ahmed Aries, wissenschaftlicher Beirat des Islamrats, das Karlsruher Urteil: „Zum ersten Mal ist ein Grundbedürfnis der Muslime anerkannt worden.“ Auch der Zentralrat reagiert freudig: „Dieses Urteil bedeutet eine Gleichbehandlung der Muslime mit anderen Religionsgemeinschaften und festigt ihr Grundrecht auf Ausübung ihrer Religion“, war gestern schon Minuten nach Verkündung des Urteils auf der Homepage www.islam.de zu lesen.

Die Gleichstellung mit den jüdischen Gemeinden ist für die MuslimInnen ein wichtiges Signal. Es ist den Verbänden sogar wichtiger als die religiösen Gutachten aus der islamischen Welt, denen zufolge das Schächten ohne Betäubung nicht religiös vorgeschrieben ist, über die sie sich aber, anders als in anderen Fragen, hinweggesetzt haben.

Der Etappensieg der islamischen Organisationen wird wohl, so viel kündigt sich bereits an, auch der Anfang einer weit reichenden Institutionalisierung islamischen Lebens in Deutschland sein. Der Richterspruch leitet außerdem eine Harmonisierung innerhalb Europas ein. Deutsche Muslime müssen nicht länger über die Grenze nach Frankreich fahren, um Fleisch zu bekommen oder ihre Tiere schlachten zu lassen. In Frankreich ist übrigens heute schon zu sehen, was vielleicht auch hier Wirklichkeit wird: In islamischen Schlachthöfen sprechen Imame im Sekundentakt eine Segensformel, um sicherzustellen, dass Gottes während der Schächtung in akzeptabler Weise gedacht wird.

Das Urteil aus Karlsruhe stärkt auch die deutschmuslimischen Organisationen. Das verleiht anderen, fast genauso alten Forderungen der 3,5 Millionen hier lebenden Muslime Auftrieb. Der Islamunterricht zählt ebenso dazu wie die Anerkennung als Religionsgemeinschaft. Das werden die nächsten Etappenziele der muslimischen Community sei. YASSIN MUSHARBASH