Springer strahlt Macht aus

Der Pressegigant wird den TV-Kanälen von ProSiebenSat. 1 nach einer geglückten Fusion ein ideologisches Korsett anlegen

VON STEFFEN GRIMBERG

Zu ihrem 60. Geburtstag hatte sich Friede Springer etwas Besonderes gewünscht: „Sicher ist es besser, wenn wir nicht nur Printmedien haben, sondern auch am Radio und Fernsehen beteiligt sind. Der Übergang vom Gutenberg- ins Marconi-Zeitalter begann schon in den 60er-Jahren. Wenn wir da verstärkt Fuß fassen könnten, wäre ich sehr dafür.“ Das war 2002, im Interview mit der konzerneigenen Welt am Sonntag. Zu Weihnachten 2005 steht Springer kurz vor dem Ziel: Durch die Fusion mit der ProSiebenSat.1 AG hätte der Konzern deutlich mehr als nur „verstärkt Fuß gefasst.“ Wer dabei die Führung übernimmt, ist klar: Axel Springer AG soll der neue Gigant am deutschen Medienmarkt weiterhin heißen – auch nach dem Zusammenschluss.

Wie groß der Einfluss des Springer-Konzerns und die daraus resultierende Angst schon heute – noch ganz ohne TV-Macht – ist, zeigt sich in der öffentlichen Diskussion: Sie findet nicht statt. Politiker melden sich kaum zu Wort. Es sei denn, sie sind wie Edmund Stoiber (CSU) Befürworter des Deals. Der freute sich schon im August kurz nach Bekanntgabe der Fusionspläne, dass bei ProSiebenSat.1 nun ein „starkes Medienhaus mit Sitz in Deutschland“ an die Stelle ausländischer Investoren tritt. Eines zudem, das im Zweifel stets der Union die politische Treue gehalten hat.

Auch aus den Medien war das Thema schon bald wieder verschwunden. Denn viele an sich unabhängige Zeitungen sind beispielsweise durch Druckaufträge an Springer gebunden. Zwischen den Chefetagen von einflussreichen Titeln wie Spiegel oder Frankfurter Allgemeiner Zeitung und Springer-Vorstand Mathias Döpfner hat sich in den vergangenen zwei Jahren ein eigentümliches Miteinander entwickelt: Da wird gemeinsam gegen die Rechtschreibreform zu Felde gezogen oder eine große Filmpremiere („Die Kinder des Monsieur Matthieu“) im neuen Springer-Komplex in Berlin inszeniert. Selbst die Zeit wunderte sich unlängst über die höfliche Zurückhaltung des Spiegels bei der Berichterstattung über die mediale Elefantenhochzeit.

Doch genau in der Möglichkeit, das Springer-Motto „Bild dir deine Meinung“ demnächst über die ausgebauten Verwertungsketten eines integrierten, also alle Mediensparten bedienenden Medienunternehmens auszuwalzen, liegt die Gefahr. Denn auch wenn der Konzern geschickt manchen ideologischen Ballast abgebaut hat: Das Sendungsbewusstsein bleibt, es ist gleichsam Pflicht. Anders als bei allen anderen großen deutschen Medienunternehmen gibt es bei Springer verbindliche inhaltliche Grundlinien, hinter denen sich jeder einzuordnen hat. Sie sind sogar Bestandteil der Arbeitsverträge im Konzern. Schon 1967, auf dem Höhepunkt der „Enteignet Springer“-Kampagnen, hatte Axel Springer seine vier publizistischen Essentials festgesetzt: 1. unbedingtes Eintreten für die Wiedervereinigung Deutschlands und die Förderung der Einigungsbemühungen der Völker Europas; 2. Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen, 3. Ablehnung jeglicher Art von politischem Totalitarismus, 4. Verteidigung der freien sozialen Marktwirtschaft.

Der Passus zur Wiedervereinigung ist abgehakt. Alle anderen „Essentials“ sollen, bestätigte der Konzern gleich bei Vertragsunterzeichnung, nach vollzogener Übernahme auch bei den Sendern der ProSiebenSat.1-Gruppe gelten, wo es bisher nichts Derartiges gibt.

Um davon abzulenken, stapelt Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner gerne tief: Auch wenn derzeit wieder „viele mit alten Klischees und Feindbildern im Kopf“ herumliefen: „Axel Springer ist heute ein kapitalmarktorientiertes, auf wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtetes Unternehmen“, sagte er vor der Presse. Bis zu einem gewissen Punkt stimmt das auch. Doch Friede Springer wacht erfolgreich darüber, dass der Geist des Verlagsgründers bei aller notwendigen Kapitalmarktorientierung nicht verloren geht.

Auch nicht bei Mathias Döpfner. Seit drei Jahren gibt es ein weitreichendes neues Essential: die unbedingte Solidarität mit den USA im Zeitalter von George W. Bush. Angesichts der von der konservativen Presse als „antiamerikanisch“ gebrandmarkten deutschen Debatte um die Kriegsgelüste der Bush-Administration nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erklärte Springer die „Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika“ zum neuen Unternehmensgrundsatz. Döpfner hat ihn als designierter Vorstandschef selbst eingeführt. Axel Springer, der 1967 nicht nur seine Essentials formulierte, sondern auch vergeblich für privates Verlegerfernsehen geworben hatte, wäre stolz auf ihn.