Inhaftierte Bärbel G.: Verlassen in Maaskar Salam

Seit fünf Jahren ist Bärbel G. im Irak in Haft. Die Deutsche soll ihren irakischen Ehemann bestialisch ermordet haben, der Kontakt zur Mafia hatte. An ihrem Urteil gibt es Zweifel.

Bärbel G. im Frauengefängnis Maaskar Salam. Bild: inga rogg

SULEIMANIA taz Menschen, die verzweifelt nach dem Glück suchen, ziehen bisweilen magisch nur noch mehr Unglück an. Vielleicht ist Bärbel G. so ein Mensch. Vier gescheiterte Ehen hat sie hinter sich, als sie um die Jahrtausendwende in einer Unterkunft für Flüchtlinge in Nordbayern Gharib Madschid kennen lernt. Der Kurde aus dem Irak ist knapp dreißig, sieht gut aus und sucht wohl wie sie ein festes Stück Zuhause. "Gharib Bekes", Gharib der Einsame, der von allen Verlassene hat er sich auf Kurdisch auf den Unterarm tätöwiert. Sie ist Anfang vierzig und sucht nach ihrem letzten Ehemann, der sich an ihrer minderjährigen Tochter verging, neuen Halt. Gemeinsam wollen die beiden einen Neuanfang machen. Stattdessen steuern sie mit hoher Geschwindigkeit auf einen Abgrund zu, der sie aus Deutschland in den Irak und immer tiefer ins kriminelle Milieu führt. Die Talfahrt endet für Bärbel G. schließlich mit der Verurteilung als Mörderin durch ein kurdisches Gericht.

Seit gut fünf Jahren sitzt Bärbel G. in Haft - viereinhalb Jahren davon nun schon im Frauengefängnis Maaskar Salam im nordirakischen Suleimania, einer kurdischen Großstadt in der Nähe der iranischen Grenze. Ein Gericht befand sie im Januar 2003 für schuldig, ihren fünften Lebensgefährten, Gharib Madschid, bestialisch ermordet zu haben, und verurteilte sie zum Tod durch den Strang. Das Berufungsgericht wandelt die Todesstrafe in lebenslänglich um. Mit sieben Schüssen soll sie Gharib Madschid getötet und ihn anschließend gevierteilt haben. Doch Bärbel G. beteuert bis heute ihre Unschuld. "Ich hab ihn nicht getötet", sagt sie im Gespräch. "Auch bei Gericht habe ich gesagt, ich habe ihn nicht getötet. Gott weiß es!"

Eine schmale Stahltür führt zu dem von einer Mauer umgebenen Komplex mit dem Frauen- und Jugendgefängnis westlich von Suleimania. Eine Wächterin in blauer Uniform und schwarzem Kopftuch bringt Bärbel G. in den kleinen schmucklosen Raum im Verwaltungstrakt, der kurzerhand zum Besuchszimmer umfunktioniert wurde. Die mittlerweile knapp 49-Jährige wirkt aufgedunsen - vermutlich eine Nebenwirkung der cortisonhaltigen Medikamente, die sie wegen einer Stauballergie regelmäßig nehmen muss. Zur Anstaltskleidung, einem nachthemdartigen dunkelroten Kleid, trägt sie wie alle Gefangenen ein blaues Kopftuch mit Blumenmuster. Sie hat es locker über den Kopf gehängt, ihr langes schwarzes Haar darunter zusammengeknotet. Sie müsse das Kopftuch tragen, weil es sonst Stress mit den Wächterinnen gebe, obwohl sie keine Muslimin sei, sagt Bärbel G.

Wenn sie redet, sieht man, dass ihr einige Zähne fehlen. Bärbel G. spricht viel und schnell. Es ist ein Parcours de force durch Ereignisse, Orte und Zeiten, bei dem einem beinahe schwindlig wird. Sie spricht von ihrer Tochter, die bald ihr erstes Kind erwartet, den gescheiterten Ehen, der Liebe zu Gharib, dessen gemeiner Mutter, der deutschen Botschaft und dem deutschen Auswärtigen Amt, das sie schmählich im Stich gelassen habe. Immer wieder betont sie, dass sie unschuldig ist. Missmutig steht die Wärterin an der Tür und beobachtet die Wortkaskaden, die sie nicht versteht.

Bärbel G. wird Ende 1958 in Zeitz in der damaligen DDR geboren, macht eine Verkäuferinnenlehre und heiratet, kaum achtzehn, das erste Mal. Es folgen zwei weitere Ehen mit Armeeoffizieren der DDR, aus denen drei Kinder hervorgehen - diese Beziehungen scheitern ebenfalls. Als sich die DDR 1989 in Auflösung befindet, setzt sie sich in den Westen ab und landet im bayerischen Bayreuth, wo sie ihren vierten Mann, einen irakischen Kurden, kennen lernt.

Wieder heiratet sie schnell - das war so Sitte in der DDR, wo junge Paare nur Aussicht auf eine eigene Wohnung hatten, wenn sie verheiratet waren. Ein Jahr später kommt ein Sohn zur Welt. Dass ihr vierter Mann in allerlei kriminelle Machenschaften verwickelt war und sich an ihrer Tochter verging, davon will sie bis zu seiner Festnahme vier Jahre später nichts bemerkt haben.

Ehrenamtlich betreut sie daraufhin Flüchtlinge und lernt dabei kurze Zeit später Gharib Madschid kennen, er wird ihr fünfter Lebensgefährte. Sie ist glücklich. Doch dann begeht sie aus Liebe zu ihm Ende 2001 einen Versicherungsbetrug. Als der Schwindel auffliegt und ihr eine Haftstrafe droht, setzt sie sich mit Gharib und dem kleinen Sohn nach Kurdistan ab. Bärbel G.s Tochter bleibt in Deutschland.

Im Februar 2002 kommt das Paar in Kalar an, wo sie bei Gharibs Eltern Unterschlupf finden. Doch bei den Madschids gibt es keinen Platz für ein frisch verliebtes Paar. Das bescheidene Haus ist eng, die Familie ist bettelarm, der aus Deutschland Heimgekehrte ist ihr Hoffnungsanker. Gleißende Hitze und Staub sind alles, was es in der irakischen Kreisstadt südlich von Suleimania im Übermaß gibt, richtig Geld verdient man hier nur mit dem Handel von Waffen, Menschen und illegalem Benzin. Die iranische Grenze ist nur einen Steinwurf entfernt. Auch hier bleibt die Familie von Bärbel G. nicht. Gharib Madschid entzieht sich dem Druck der Familie, indem er mit ihr und ihrem Sohn nach Derbendikhan, nördlich von Kalar gelegen, zieht. Eingebettet in die Hügel um den gleichnamigen Stausee ist Derbendikhan ein wahres Idyll.

Doch die Familie in Kalar lässt nicht locker, sie will weiter Geld. Das braucht auch Gharib. Viel Geld. Im Frühjahr wird Bärbel G. erneut schwanger, gemeinsam wollen sie in Derbendikhan ein Haus bauen. Er beginnt, Kurden über Iran in die Türkei zu schleusen. Dann verkauft er seinen und einen ihrer zwei Pässe. "10.000 Dollar für seinen Pass" habe er kassiert, erzählt Bärbel G, "und 10.000 Dollar - was ich hinterher erst erfahren habe - für meinen Pass." Von seinen Mafiakontakten habe sie gewusst. Dass er aber auch ihren Zweitpass verkaufte, habe sie erst später gemerkt.

Für Bärbel G. nimmt die Katastrophe ihres Lebens ihren Lauf. Sie erleidet eine Fehlgeburt, und Ende Juli verschwindet ihr Lebensgefährte spurlos. Die Polizei findet schließlich den Leichnam eines Mordopfers, bei dem es sich um Gharib Madschid handeln soll. Es ist ein grausiger Mord - der Tote ist von sieben Kugeln durchsiebt, der Rumpf halbiert und die Beine vom Unterleib abgetrennt. Alles sieht nach einem brutalen Mafiamord aus.

Mitte August wird Bärbel G. festgenommen. In der Haft unterschreibt sie ein Geständnis. Sie sagt, sie habe diese Unterschrift nur geleistet, weil ihr die Polizisten mit Folter gedroht hätten. "Es ging hart zu", sagt sie. Ein Albtraum sei es gewesen. "Du wirst aufgehängt", habe sie hören müssen. "Du kriegst Stromschläge", hätten die Beamten gedroht. Die Staatsanwaltschaft unterstellt ihr als mögliches Mordmotiv Geldgier und Rache, weil sich ihr Lebensgefährte Gharib Madschid angeblich an ihrem Sohn vergriffen habe. Eine Pistole, die mutmaßliche Mordwaffe, wird bei einer zweiten Durchsuchung in ihrem Haus gefunden.

In der Hauptverhandlung, die nur drei Tage dauerte, habe sie das Geständnis widerrufen, sagt Bärbel G. Der Widerruf eines Geständnisses bleibt im Irak jedoch meist folgenlos. Hier gilt: einmal schuldig bekannt, immer schuldig. Da mag die Beweislage noch so dürftig sein.

Das fängt schon mit der Leiche an. Gharib wurde durch seinen älteren Bruder Kawa Madschid identifiziert, so steht es in den Akten. Im Gespräch mit der taz sagt der älteste Sohn der Familie jedoch, dass er seinen Bruder nicht erkannt habe. Dabei habe er sich alle erdenkliche Mühe gegeben und den Leichnam zweimal angeschaut, sagt der 36-Jährige. Um den starken Verwesungsgeruch auszuhalten, habe er sich beim zweiten Mal ein Tuch mit Basilikumblättern vor die Nase gebunden, um den Toten anzusehen. Ganz genau. Doch auch jetzt erkannte er seinen Bruder nicht wieder. Das Gesicht sei unkenntlich gewesen, weil es vermutlich längere Zeit Kerosin oder Benzin ausgesetzt gewesen sei, sagt er. Am Rumpf, an den Armen und Beinen, an all den Körperstellen, an denen sein Bruder nach seiner Erinnerung Narben oder Tätöwierungen trug, seien Haut und Fleisch herausgeschnitten worden. Erst bei einem Blick durch ein Mikroskop habe er auf dem Unterarm den Schriftzug "Gharib Bekes" erkennen können, sagt Kawa Madschid. Eine zweifelsfreie Identifizierung? Wohl kaum.

Ein DNA-Test hätte Gewissheit schaffen können. Doch dafür fehlten dem Irak seinerzeit die technischen Möglichkeiten. Das Angebot der deutschen Botschaft in Bagdad, einen solchen Test in Deutschland durchzuführen, hätten die örtlichen Behörden damals abgelehnt, heißt es heute im Auswärtigen Amt in Berlin. Die Botschaft besorgte der Angeklagten einen Rechtsbeistand und brachte ihren Sohn zurück nach Deutschland. Mehr könne er nicht für mich tun, habe ihr der Botschaftsvertreter erklärt, sagt Bärbel G. im Rückblick. Es war das letzte Mal, dass sie einen Vertreter der deutschen Botschaft in Bagdad zu Gesicht bekam. Das bestätigt auch die Direktorin des Frauengefängnisses, Gona Abdulla.

Ob Bärbel G. schuldig ist oder nicht, darüber will sich Gona Abdulla kein Urteil erlauben. "Meine Aufgabe ist die Resozialisierung von Straftätern", sagt die 28-Jährige. Dazu gehörten regelmäßige Besuche, die im Fall der Deutschen nur deren Botschaft leisten könne. Als Gona Abdulla im März 2006 im Rahmen eines Seminars über Menschenrechte nach Berlin reiste, wurde sie deswegen auch beim Außenamt vorstellig. In einem Schreiben beklagte sie, dass sich die deutsche Botschaft nicht um die eigene Staatsbürgerin kümmert.

Zwei Monate später kam ein Anruf aus Bagdad von der deutschen Botschaft. Da habe sie die Diplomaten zu einem Besuch eingeladen, sie regelrecht aufgefordert, sagt Abdulla. Die Botschaft habe mit dem Hinweis auf die katastrophale Sicherheitslage jedoch abgelehnt. Ungläubig schüttelt Gona Abdulla den Kopf. "Sie können doch fliegen", sagt sie. Der kurdische Nordirak gilt als so sicher, dass Berlin seine Reisewarnung für die Region mittlerweile eingeschränkt hat.

Immerhin habe der Honorarkonsul, ein Kurde aus Erbil, Bärbel G. einmal besucht. Und ab und zu riefen Botschaftsmitarbeiter an, um sich nach dem Wohlergehen der Gefangenen zu erkundigen. Doch Gona Abdulla, die mit ihren blond gesträhnten Haaren wie ein bunter Fleck im tristen Grau der Gefängnisverwaltung wirkt, geht es um mehr als die Erfüllung des Konsulargesetzes.

Nach mehreren Amnestien für Gefangene wie sie hat Bärbel G. noch eine Reststrafe von sechs Jahren abzusitzen. Auf dem Weg zurück in die Gesellschaft brauche sie Kontakte zur Außenwelt, sagt Abdulla. "Das ist eine humanitäre Frage." Genau dies habe sie noch einmal gelernt. Beim Menschenrechtsseminar in Deutschland.

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