Tarifstreit: Die Bahn streikt mit

Die Lokführer durften am Freitag nur den Regionalverkehr bestreiken. Den Rest erledigte der extra ausgetüftelte Ersatzfahrplan.

Es geht wieder voran: Regionalexpress-Fahrgäste Bild: ap

BERLIN taz Gehört sie dazu oder nicht? Jedenfalls lächelt die blonde Dame im Büroschick neben dem Tresen des Service Point ziemlich angespannt. Ein Opfer des Bahnstreiks, das einen Geschäftstermin verpasst und auf Entschädigung wartet? Oder eine Vorgesetzte, die ihren Mitarbeiterinnen auf die Finger schaut, während diese erstaunlich gelassene Bahnkunden über die wenigen Züge informieren, die den Bahnhof Alexanderplatz verlassen?

Das Arbeitsgericht Chemnitz hat in der Nacht zu Freitag der Lokführergewerkschaft GDL den angekündigten Streik im Fern- und Güterverkehr untersagt. Einen Arbeitskampf im Regionalverkehr hat es zugelassen. Damit hat die Bahn, die den gesamten Streik untersagen lassen wollte, lediglich einen juristischen Teilerfolg erzielt.

Die Richter hoben bei ihrem Urteil auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ab und verwiesen zugleich darauf, dass das Streikrecht nicht automatisch insgesamt zurücktreten könne, auch wenn in Teilbereichen kein Arbeitskampf stattfinden dürfe. Die GDL prüft einen Widerspruch und will notfalls vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund kritisiert das Urteil als gefährlichen Angriff auf das Streikrecht und auf die grundgesetzlich garantierte Tarifautonomie. Deshalb sei es problematisch, wenn das Gericht im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung bestimmte Streikmaßnahmen für unzulässig erkläre. Andererseits habe die Lokführergewerkschaft GDL die Solidarität mit den anderen Bahngewerkschaften verlassen.

Berlin am Freitagmorgen: Die Lokführer haben zum bundesweiten Warnstreik aufgerufen. Die Bahn hat zwar einen Ersatzfahrplan aufgestellt, trotzdem fährt nur ein Bruchteil der Züge. Und auch die S-Bahn kommt nur alle 20 Minuten. Das sorgt für viele Fragen bei den Bahnkunden. Um die zu beantworten, hat die Deutsche Bahn über tausend Mitarbeiter auf den Bahnhöfen und an Infotelefonen im Einsatz.

"Ich helfe den Kollegen hier gern", sagt die blonde Dame am Service Point. Hat sie als Mitarbeiterin der Bahnverwaltung Verständnis für die Lokführer? Nervöses Lächeln, dann die Antwort: In ihrer Abteilung sei man bei Transnet oder in der Gewerkschaft der Bahn-Angestellten (GDBA). Da werde der Streik der Lokführergewerkschaft GDL schon sehr kritisch gesehen.

Transnet, GDBA, GDL - schon ist man mittendrin im komplizierten Hintergrund dieses Bahnstreiks. Denn es geht ja nicht nur um die Frage, ob die Lokführer 30 Prozent mehr Lohn bekommen sollen. Es geht vor allem darum, ob die kleine Lokführergewerkschaft einen eigenen Tarifvertrag für ihre Mitglieder aushandeln kann und so an der Macht der großen Bahngewerkschaften Transnet und der aus der Beamtentradition stammenden GDBA knabbern kann. Bisher verhandeln die beiden exklusiv mit dem Bahnmanagement. Dass das so bleiben soll, finden nicht nur GDBA und Transnet, sondern auch Bahnchef Hartmut Mehdorn. Denn die Chefs der beiden Gewerkschaften, Norbert Hansen und Klaus-Dieter Hommel, sind berechenbar, sie tragen bei allem Tarifgeplänkel den von Mehdorn angestrebten Einstieg von privaten Investoren mit. Die wiederum mögen renitente Splittergruppen wie Lokführer, die unter Umständen den ganzen Laden stilllegen können, gar nicht. Und daher geht es bei diesem Streik auch um den Börsengang der Deutschen Bahn.

Die Bahnkunden am Alexanderplatz interessiert das alles herzlich wenig. "Ich weiß nicht, ob die Forderungen der Lokführer berechtigt sind", sagt der Student, der eigentlich um 11 Uhr einen Mietvertrag in Frankfurt (Oder) unterschreiben wollte. Irgendwie könne er die Lokführer verstehen. "Aber ich bin sauer auf die Bahn. Die hat doch schließlich den Ersatzfahrplan gemacht."

Dabei sollte die vom Bahn-Management organisierte Notversorgung mit Zügen doch das Chaos in Grenzen halten - und beweisen, dass die Lokführer gar nicht so mächtig sind, wie sie glauben. Deshalb hat die Bahn von sich aus die Intercity- und Eurocity-Züge stehen lassen und auch im Regionalverkehr gekürzt. Dafür sollte mit den verbliebenen verbeamteten oder bei Transnet organisierten Lokführern wenigstens der ICE-Verkehr aufrechterhalten werden. Wenn hier Züge ausfallen, merkt die Bahn die Einnahmeausfälle sofort, anders als beim Regionalverkehr, der pauschal mit den Bundesländern abgerechnet wird.

Doch das Kalkül ging nicht auf. Denn das von der Bahn angerufene Gericht Chemnitz (siehe Kasten) hat in der Nacht zum Freitag nur den Streik im Regionalverkehr erlaubt. Im Fern- und Güterverkehr hätten alle Lokführer fahren müssen. Und weil sich diese auch in wildesten Tarifstreitereien an die Gesetze halten, seien die Lokführer um 2.30 Uhr pünktlich zum Dienst erschienen, sagt Claus Weselsky, stellvertretender Bundesvorsitzender der GDL. "Aber sie durften nicht arbeiten, weil der Notfallfahrplan galt."

Für Weselsky ist das eine "kalte Aussperrung", ein Begriff, den er den Journalisten am Berliner Hauptbahnhof immer wieder mit triumphierendem Lächeln hinwirft. Den Glaspalast, nur wenige Stationen entfernt vom Alexanderplatz, haben alle Beteiligten als Ort für ihre Inszenierung des Streiks gewählt. Hier schenkt die Bahn umsonst Kaffee und Saft an die Kunden aus, hier steht eine Handvoll GDL-Mitglieder vor der Tür und behauptet trotz des Rummels im Hintergrund: "Dieser Betrieb wird bestreikt." Ins Gebäude hinein gehen sie allerdings nicht, die Bahn hat selbst diesen Minimalprotest per Hausrecht untersagt. Drinnen patrouillieren mehr Polizisten, als Gewerkschaftler vor der Tür stehen.

Bahnsprecher Achim Stauß eilt von einem Interviewtermin zum nächsten und verteidigt den Ersatzfahrplan, auch wenn ICs und einige ICEs nun unnötigerweise ausfallen. "Die Kunden sind seit gestern Abend informiert, der Ersatzfahrplan funktioniert", lautet seine Botschaft. Zwei Drittel der 750 Fernverkehrszüge und bis zu 50 Prozent der 19.000 Regionalzüge im Bundesgebiet seien planmäßig gefahren, erklärt die Bahn später.

Das bezweifelt GDL-Mann Weselsky - und ein Blick auf die Anzeigetafel gibt im Recht. Von den 22 Zügen, die eigentlich fahren sollten, fallen 17 aus, darunter der ICE nach München. Nutzen können die Kunden nur zwei ICEs, einen IC und eine Regionalbahn.

"Die Auswirkungen sind größer als bei unserem Arbeitskampf", sagt Weselsky. "Damit will das Management den Ärger der Fahrgäste erhöhen und so Stimmung gegen uns machen." Bahn-Sprecher Stauß wehrt ab: "Wenn hier einer Druck macht, dann sind das die Lokführer." Und davon will sich die Bahn nicht beeinflussen lassen, notfalls könne man den Ersatzfahrplan wochenlang durchhalten. So weit ist es zwar noch nicht, aber die Streiks dürften weitergehen. Die GDL schloss jedenfalls weitere Arbeitskämpfe ab Dienstag nicht aus.

Aktuelle Informationen über die Lage im Bahnverkehr gibt es kostenfrei unter (0 80 00) 99 66 33. Aus dem Ausland ist dieser Service unter +49 18 05 33 44 44 kostenpflichtig erreichbar

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